„Unsere Heimat aber ist im Himmel“
Nach dem II. Weltkrieg begann auch die Evangelische Gemeinde zu wachsen
Vilsbiburg. Vor dem Jahr 1945 fand im Vilsbiburger Land evangelisches Leben bestenfalls in homöopathischen Dosen statt. Wie Kuno Eberhard in dem schmalen Heft mit dem Titel „Vom Werden und Wachsen der Evangelischen Gemeinde Vilsbiburg“ schreibt, seien laut Angaben den Statistischen Landesamtes im Jahr 1939 im gesamten Kreis Vilsbiburg nicht mehr als 113 Menschen evangelischen Glaubens gezählt worden. Mit diesem Potential konnte bestenfalls einmal im Monat ein Gottesdienst im Sitzungssaal des Rathauses abgehalten werden, wozu die Prediger und manches Mal auch ein kleiner Singkreis aus Landshut anreisten. Danach trafen sich die Protestanten regelmäßig im Café Kreill zum gemütlichen Beisammensein. Und dann kam statt des großspurig verkündeten Endsieges der Exodus von rund 10 Millionen Menschen aus den deutschen Ostgebieten jenseits von Oder und Neiße sowie der Tschechoslowakei. Manche von ihnen werden an der von Paulus im Brief an die Philipper enthaltenen Textstelle „Unsere Heimat aber ist im Himmel? auf dem Weg ins Ungewisse Trost gefunden haben.
Kuno Eberhard berichtet von rund 16.000 Flüchtlingen und Vertriebenen, die nach Kriegsende in den Kreis Vilsbiburg gekommen seien, darunter etwa 6.000 evangelischen Glaubens. Ein Dokument in der Sonderausstellung des Heimatmuseums beweist, dass sich die Einwohnerschaft der Stadt Vilsbiburg in kurzer Zeit sprunghaft um ein Drittel in die Höhe geschnellt ist. Für alle Beteiligten war dies eine heute kaum mehr nachvollziehbare Herausforderung. Wie beschwerlich das Eingewöhnen nach der körperlich und seelisch strapaziösen Flucht insbesondere für ältere Menschen gewesen sein muss, zeigt sich an der Tatsache, dass allein im ersten Jahr 71 evangelische Menschen starben. Für sie erfüllte sich die bis weit in die 1950er Jahre von den meisten Heimatvertriebenen gehegte Hoffnung, bald wieder in die alte Heimat zurückkehren zu können, jedenfalls nicht mehr.
St. Nikolaus in Herrnfelden
Doch trotz oder gerade wegen der vagen Hoffnung auf die Heimreise tat Seelsorge vor Ort Not. Der vor dem Krieg genutzte Ratssaal war hoffnungslos zu klein. Da trat Pastor Richard Rosenberg an seinen Amtsbruder Prälat Dr. Anton Goetz heran, der in gutem ökumenischen Geist der evangelischen Gemeinde die Nebenkirche in Herrnfelden kostenlos zur Verfügung stellte. Nachdem die durch die Sprengung der nahen Eisenbahnbrücke entstandenen Schäden an Fenstern und Putz notdürftig repariert worden waren, konnte dort bereits im Sommer 1945 der erste Gottesdienst stattfinden. Mehr als 13 Jahre lang fanden die evangelischen Christen in dem spätgotischen Gotteshaus eine vorübergehende Heimat, bevor im Oktober 1958 die unter Pfarrer Johannes Stekla erbaute Christuskirche eingeweiht werden konnte. In Gerzen konnte die evangelische Gemeinde bereits im Jahr 1951 den Kinosaal des Gasthofes Kaiser verlassen und in die vom Lutherischen Weltbund gestiftete Erlöserkirche umziehen. Der Andachtsort war eine der vielen Notkirchen nach den Plänen des Architekten Otto Bartning, die in den Jahren nach dem Krieg vielen ausgebombten oder neu angesiedelten Kirchengemeinden zu einer neuen Heimstätte verhalfen. Darauf mussten die evangelischen Christen im Gebiet von Velden am längsten warten. Nachdem sie bis zum Jahr 1969 die Gottesdienste in der Lambertuskirche in Kleinvelden besucht hatten, konnte in zentraler Lage das Andreas-Gemeindezentrum eröffnet werden.