Mehr als 300 Jahre Handwerkstradition
Über lange Zeit ist der Lechnergarten ein Ort der Geselligkeit. hier trifft man sich am 22. Februar 1927 zu einem Turnier der Eisschützen. (Foto: Archiev Heimatmuseum Vilsbiburg)
Vilsbiburger Wachszieher nahmen auch überregional Spitzenstellung ein.
In seinem Standardwerk ?Großes Buch vom Wachs? nennt Reinhard Büll in der Reihe der ältesten deutschen Wachszieher, die bis in die jüngere Vergangenheit existieren, neben der Firma Sallinger im schwäbischen Krumbach den Betrieb Lechner in Vilsbiburg. Als erster Vertreter seines Standes tritt im beschaulichen Vilstal am 28. Januar 1644 ein Rudolf Sperl ?lebzelter alhie? in Erscheinung, der sich bei der Taufe des Braumeistersohnes Rudolf Schändtl als Pate zur Verfügung stellt. Wobei man wissen muss, dass die Berufskombination Lebzelter und Wachszieher traditionell zusammengehört.
1794 kommt im Alter von 13 Jahren Franz Xaver Lechner, Hofwirtssohn aus Isen nach Vilsbiburg. Die kinderlosen Lebzelters- und Wachzieherseheleute Bernardin und Maria Anna Fromberger nehmen den Neffen an Kindesstatt an, was den jungen Mann veranlasst, ein Jahr später eine Lehre in diesem Handwerk zu beginnen. Im Oktober 1815 heiratet Lechner die Vilsbiburger Nagelschmiedstochter Viktoria Stängl und übernimmt den elterlichen Betrieb. Der nächste Generationswechsel steht dann 42 Jahre später an, als Franz Xaver die Firma an den gleichnamigen Sohn übergibt.
Ersatz für das alpenländische Bauernhaus
Die Hochzeit von Franz Xaver II. mit Karoline Nill, der Tochter des Pfaubräus in Trostberg, hat alle Anzeichen einer Feier des gehobenen bürgerlichen Mittelstandes. Franz Xaver II. baut das ererbte Anwesen nach Kräften aus. Er lässt zunächst eine neue Werkstatt errichten, ?ganz gemauert und mit Eisenblech eingedeckt?. Im Jahr 1862 wird das bisherige Wohnhaus abgerissen. Dabei handelt es sich um den Typus eines Bauernhauses im alpenländischen Stil und einem mit dicken Steinen belegten Schindeldach. Errichtet wird der noch heute bestehende fast quadratische, zweigeschossige städtische Bau mit Walmdach, aber noch ohne die später eingebauten Schaufenster.
Aus der Ehe entspringen sechs Kinder, von denen es der älteste Sohn, ebenfalls mit Vornamen Franz Xaver, später zum Landgerichtspräsident in Schweinfurt bringt und Christoph, der dritte, zum Geschäftserben auserkoren wird. Christoph fällt schon in seinen Schuljahren mit guten Leistungen und einer außergewöhnlichen künstlerischen Fähigkeit auf. Als er 1890 das elterliche Besitztum übernimmt, bemüht er sich zunächst, den Grundbesitz durch Ankäufe und Tauschgeschäfte zu arrondieren und vereinigt mehr als 20 Tagwerk an Flächen im zentralen Ortsbereich. Ein Jahr später wird die Werkstatt auf die doppelte Fläche erweitert. In dieser Zeit um die Jahrhundertwende muss das Wachsgeschäft besonders gut gelaufen sein. Dank der von Christoph Lechner erhaltenen Aufschreibungen und Arbeitsbücher erhält man einen interessanten Einblick in die Arbeit der Wachszieher, von der Herkunft der Rohstoffe bis zur Produktion der fertigen Kerzen und Votivgaben. Begünstigt wird diese positive Entwicklung zum großen Teil von der nahen Wallfahrt Maria Hilf.
Mandelschnitten und Heidelbeerwein
Zur Wachsfabrikation kommt noch die Herstellung von Erzeugnissen für die Konditorei und das Café mit dem weiträumigen Garten. Insbesondere an den Firmungen herrscht hier Hochbetrieb. Das Angebot im Jahr 1894 weist nicht weniger als 46 Gebäcksorten, von Mandelschnitten über Makronen und Pariser Standen bis hin zu diversen Torten auf. Dazu gibt des Met und später Heidelbeerwein. Dabei will der Chef nichts dem Zufall überlassen. Akribisch plant er die Anordnung der Tische in Lokal, Hofraum und Garten, notiert nachträglich die Wetterverhältnisse und die genauen Absatzzahlen der verschiedenen Gebäckarten. Mit derselben Genauigkeit hat Christoph Lechner übrigens über Jahre hinweg Belegungspläne von den jeweiligen Dionysimärkten angefertigt.
Trotz der vielen Arbeit im Geschäft war es für Wachszieher und Lebzelter als Vertreter des gehobenen bürgerlichen Mittelstandes eine Selbstverständlichkeit, sich im öffentlichen Leben zu engagieren. Und es waren die großen Organisationen, in denen sich Lechner engagierte: im Turnverein, bei der Feuerwehr, im Landwirtschaftlichen Verein und als im Jahr 1909 die Vorbereitungen zur Eröffnung eines Heimatvereins laufen, wird er wie selbstverständlich vom Magistrat des Marktes Vilsbiburg zum Konservator ernannt. Damit ist Lechner der erste Vorgänger des heutigen Museumsleiters Lambert Grasmann.
Das Handwerk geht zu Ende
Ist es der Strukturwandel oder der nicht geglückte Generationswechsel? Als Christoph I. im Jahr 1933 stirbt, steht die Wachsproduktion vor dem Aus. Barbara Möckershoff beschreibt in der neuesten ?Vilsbiburger Museumsschrift? das konfliktgeladene Verhältnis zwischen dem Vater und seinem Sohn Christoph II. Nur wenige Jahre danach erlischt die Wachsproduktion. Der Betrieb beschränkt sich auf den Betrieb von Konditorei, Café und den Handel mit Fremdprodukten. Die 1951 geschlossene Ehe mit Anna Kleingütl bleibt kinderlos. Nach deren Tod im Jahr 1986 gehen ein großer Teil des Bestandes an Modeln und Abgüssen sowie der gesamte Immobilienbesitz an den Caritasverband der Diözese Regensburg. In den folgenden Jahren errichtet dieser in sehr souveränem Umgang mit der kleinteiligen Struktur des idyllischen Lechnergartens in diesem ein Alten- und Pflegeheim.
In der letzten Zeit ist es dem Heimatverein gelungen, mit tatkräftiger Unterstützung der Firma Dräxlmaier und der Benedikt-Auer-Stiftung einen erheblichen Bestand aus dem Nachlass der Wachzieherei für das Museum zu erwerben, wo es mit dem historischen Lechnerladen und vielen Votivgaben vereinigt wird. In der am 25. Juni 2011 zu eröffnenden Sonderausstellung wird dem traditionsreichen Handwerk in Vilsbiburg eine breite Würdigung erfahren.
Peter Barteit