Die letzten Toten des I. Weltkrieges
Revolutionäre Unruhen auch in Vilsbiburg ? Bezirksamtmann und Bürgermeister als Geiseln
Vilsbiburg. Sie werden noch so viele Pläne gehabt haben für ihr weiteres Leben, das noch ein halbes Jahrhundert oder mehr hätte dauern können. Beispielsweise Albert Ruppert, der 18jährige Sohn eines Drechlermeisters aus Vilsbiburg. Sein Sterbebild weist ihn als Student der 8. Gymnasialklasse in Freising aus. Möglicherweise bereitete sich Ruppert in der Domstadt auf den geistlichen Stand vor. Dagegen wird man in der Sölde in Giersdorf bei Seyboldsdorf auf die Mithilfe des Ferdinand Spitzlberger in der kleinen Landwirtschaft gehofft haben, bevor ihn im Alter von nur 22 Jahren eine Kugel hinwegraffte. Die beiden Burschen hielten sich zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort auf. Normalerweise ist der Besuch des Bahnhofes eines kleinen niederbayerischen Marktfleckens ein ungefährliches Vorhaben. Nicht so an diesem 26. April 1919; denn an diesem Tag tobten dort revolutionäre Unruhen ? die direkte Folge eines höchst unprofessionell beendeten Weltkrieges.
Die letzte Schlacht verweigert
Schon Ende September 1918 hatte Erich Ludendorff, der stellvertretende Chef der Obersten Heeresleitung die Aussichtslosigkeit eines deutschen Sieges erkannt und einen Waffenstillstand gefordert. Davon unbeeindruckt plante jedoch die Marine, mit einer letzten großen Seeschlacht das Ruder doch noch einmal herumzureißen. Dabei wurde der Tod von 80.000 Seeleuten zumindest billigend in Kauf genommen. Diese waren allerdings dermaßen demoralisiert, dass die den Befehl, in die Deutsche Bucht auszulaufen, einfach verweigerten. Der Funke der Revolution sprang zunächst auf die großen Städte wie Berlin, Hamburg und München und etwas später auf das ganze Land über. Allenthalben bildeten sich so genannte Arbeiter- und Soldatenräte die nun die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung in der urdemokratischen aller Staatsformen übernehmen wollten. In Vilsbiburg nannte sich diese Formation Arbeiter-, Bürger- und Bauernrat; an seiner Spitze stand Christian Hörl, der Geschäftsführer der Allgemeinen Ortskrankenkasse. Am 16. November 1918 hingen überall Plakate mit einem Aufruf der neuen Herren. Daneben gab es jedoch weiter den traditionellen Machtzentren wie die Bayerische Armee, den Bezirksamtmann (heute Landrat) und einen Bürgermeister, was unweigerlich zu Konflikten führen musste.
Tödliches Kompetenzgerangel
Am 25. April 1919 traf in Vilsbiburg ein Kommando des 2. Schwere-Reiter-Regiments aus Passau zur Sicherung der Eisenbahnbrücken ein. Dies gefiel den örtlich Räten nun überhaupt nicht, waren sie doch der Meinung, nach dem Motto ?Alle Macht den Räten? allein für sämtliche Ordnungsmaßnahmen zuständig zu sein. Nachdem ein erster Protest von Christian Hörl ungehört verhallte, nahm er mit einer rund 120 Mann starken bewaffneten Gruppe Bezirksamtmann Sedlmeier und Bürgermeister Josef Brandl als Geiseln und zog damit zum Quartier des Armee-Kommandos. Im Lauf der Verhandlungen wurden die Soldaten ?in schmählicher Weise entwaffnet ? und mit einem Fuhrwerk nach Landshut in Marsch gesetzt?, so ein zeitgenössischer Bericht. Diesen Vorgang stieß bei der Regimentsführung auf keinerlei Verständnis und als Reaktion wurden die Räte ultimativ aufgefordert, die erbeuteten Waffen am Bahnhof einem verstärkten Kommando aus Landshut zu übergeben.
Dieses traf am nächsten Tag in Vilsbiburg ein, doch Christian Hörl war auch durch gutes Zureden des Bezirksamtmanns und des Bürgermeisters nicht zum Einlenken bereit. Es entwickelte sich eine heftige Auseinandersetzung, die Situation geriet außer Kontrolle und plötzlich fielen Schüsse. Die Kugeln trafen drei Männer. Ferdinand Spitzlberger war sofort tot, Albert Ruppert wurde schwer verletzt ins Krankenhaus in der Oberen Stadt gebracht wo er noch am selben Abend starb. Auch die leicht verwundete Person musste ärztlich behandelt werden. Zwei Mitglieder des Arbeiterrates wurden verhaftet; der Vorsitzende Christian Hörl flüchtete.
?Schwärzester Tag in der Geschichte?
Noch am selben Tag berief Bürgermeister Brandl eine gemeinsame Sitzung der Magistratsräte, des Gemeindekollegiums und des Arbeiterrates ein. Er schilderte die Vorgänge und bezeichnete den 26. April 1919 als ?einen der schwärzesten Tage in der Geschichte Vilsbiburgs?. Einer Aufforderung der Arbeiterschaft folgend erklärte Brandl seinen Rücktritt als Bürgermeister. Die Gremien des Marktes Vilsbiburg wollten dies jedoch nicht akzeptieren und baten das Gemeindeoberhaupt, im Amt zu verbleiben, was dieser auch zusagte. Beschlossen wurde noch, die beiden Todesopfer auf Kosten des Marktes beerdigen zu lassen. Als Folge der Unruhen wurde von der bayerischen Regierung für Vilsbiburg am 26. und 27. April 1919 der verschärfte Belagerungszustand verhängt. Dies gab den Militärbehörden erweiterte Machtbefugnisse und schränkte gewisse Grundrechte der Zivilbevölkerung ein.
So schlafwandlerisch wie der I. Weltkrieg begonnen wurde, so amateurhaft hat man ihn auch beendet. Die Oberste Heeresleitung um die Generäle Hindenburg und Ludendorff besaßen zwar über Jahre hinweg die Befugnissen einer Militärdiktatur, aber nicht die Tapferkeit, ihr eigenes Scheitern und die Gründe dafür ehrlich zu analysieren. Im Gegenteil: Sie erfanden zu ihrem Schutz die so genannt Dolchstoßlüge, nach der das deutsche Heer im Felde unbesiegt geblieben sei und erst von ?vaterlandslosen? Zivilisten aus der Heimat ?einen Dolchstoß von hinten? erhalten habe. Diesen Unsinn griffen alle Enttäuschten der Niederlage sowie die unverbesserlichen Militaristen und Nationalisten begierig auf und verbreiteten ihn weiter. So auch Adolf Hitler bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach dem Redeverbot am 6. März 1927 in Vilsbiburg.
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