Hunger als ständiger Begleiter
Die Ausstellung im Heimatmuseum zeigt auch die düsteren Seiten der Ernährungsgeschichte und widmet sich diesem Thema gerade in der Weihnachtszeit.
„Was sollen wir kochen an den Feiertagen?“ „Wer in der Verwandtschaft isst kein Fleisch?“ „Wann sollen wir die Gans vorbestellen?“ Solche und ähnliche Fragen bewegen gerade viele Familien, sind doch die Wochen um Weihnachten gekennzeichnet von den Vorbereitungen auf das Weihnachtsfest, und ganz wichtige Überlegungen konzentrieren sich dabei auf das gemeinsame Essen über die Feiertage.
Schon die Wochen vorher sind in vielen Familien angefüllt mit Plätzchenbacken, Speisepläne zusammenstellen und Vorräte auffüllen. Nicht wenige jammern dann spätestens im neuen Jahr über überflüssige Pfunde und die Neujahrsvorschläge für Diäten füllen viele Magazine.
Wir nehmen es als selbstverständlich, stets genug, ja mehr als genug zu essen zu haben, Mangelernährung ist in unserer Gesellschaft kein verbreitetes Problem. Dabei ist die Geschichte der Menschheit eine Geschichte des Mangels, der Entbehrung und der mühsamen Suche nach Essbarem.
Dann geht`s ans Eingemachte!
Im Lauf der Geschichte gab es immer wieder Ernährungskrisen, Hungerperioden ?wegen grassierender Seuchen, klimatischer Bedingungen, starken Bevölkerungswachstums oder Kriegen.
Immer wieder gab es Hungerkrisen. Forscher sprechen beispielsweise von der Zeit zwischen 1770 und 1825 als der ?kleinen Eiszeit?, weil durch zum Teil sehr kühle Sommer, überdurchschnittliche Regenfälle und harte Winter große Ernteausfälle zu beklagen waren, was zu Hunger und Verzweiflung bei Vielen führte.
Das Heimatmuseum zeigt in seiner Sonderausstellung diverse Objekte aus dieser Zeit, die die Sorgen und Probleme der Menschen anschaulich demonstrieren.
Auch in unserer Region waren Menschen immer wieder von Ernährungskrisen betroffen. Besonders nach Cholera- oder Pestausbrüchen, (z.B.1349, 1625 oder 1658) nach großen Stadtbränden (z.B. Vilsbiburg: 1366, 1504, 1559, , 1686) oder während und nach dem verheerenden Dreissigjährigen Krieg 1618- 1648 kam es zu wirtschaftlichem Niedergang und Versorgungsengpässen.
Erklären konnten sich die Menschen solche Krisen meist nicht, und so blieb ihnen wenig mehr als zu hoffen, zu beten ? und sich so weit wie möglich einzuschränken.
Diese Krisen trafen vor allem die Ärmeren, in den Städten noch mehr als auf dem Land, wo Selbstversorgung leichter möglich war. Wer zu arm war, sich die immer teurer werdenden Nahrungsmittel, wie Mehl, Fett, Eier oder Kartoffeln zu kaufen, dem blieben nur die eigenen Vorräte, das Eingemachte – und die Hoffnung auf Besserung.
So berichtet der Pfarrer aus Pförring, Joan Mathias Neunhoerl 1772 von der Teuerung im Gefolge der ?kleinen Eiszeit?:
„Schon der Jahrgang 1770/71 brachte große Teuerung. Schuld daran waren die vielen Niederschläge, die in hiesiger Gegend zu großen Überschwemmungen führten. Im Sommer 1771, besonders im Monat Juni, steigerte sich die Teurung ins Unerträgliche und große Hungersnot brach herein. Kein Bäcker in Pförring und Umgebung hatte mehr ein Stäubchen Mehl, nirgends war auch nur ein Stückchen Brot aufzutreiben … Erst das Jahr 1774 brachte wieder normale Verhältnisse …“
Nach den Napoleonischen Kriegen 1815, als sich die Menschen nur langsam von den Verheerungen erholten, kam es in den Jahren 1815/1816 auch in der Region zu ungewöhnlichen Schlechtwetterperioden mit Unwettern, Überschwemmungen und geringen Ernten. Wissenschaftler vermuten, dass dies auf einen gewaltigen Vulkanausbruch in Südostasien 1815 zurückzuführen ist, dessen Asche die Atmosphäre in weiten Gebieten beeinflusste und die Temperaturen sinken ließ.
KRIEG MACHT HUNGER
Nicht nur in naturgemachten Katastrophen auch und besonders während Kriegszeiten litten die Menschen oft an Hunger.
Im Ersten Weltkrieg erduldeten viele Menschen große Einschränkungen an Lebensnotwendigem.
In diesem ersten großen, modernen Krieg bekämpften sich nicht nur Armeen, sondern ganze Staaten mit all ihren wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und technologischen Fähigkeiten und mit all ihren materiellen und menschlichen Ressourcen.
Neben den militärischen Kämpfen eröffnete man die ?Heimatfront?: Auch die Zivilbevölkerung hatte für den Sieg zu sorgen, sei es durch Spenden, durch Kriegsanleihen oder durch Nahrungsmittel für die Soldaten. Immer umfangreicher wurden die Rationierungen von Grundnahrungsmitteln, die Regierung und militärische Führung anordneten.
Auch das Königliche Bezirksamt Vilsbiburg veröffentlichte laufend neue Bestimmungen über erlaubte Abgabemengen an Fett, Mehl, Brot, Zucker und vielem mehr.
Um das Wenige zu verteilen, wurden Marken ausgegeben, die zum Bezug bestimmter Waren berechtigten ? wenn es sie denn gab. Speisekarten von Gasthäusern oder Anregungen zum Ersetzen benötigter Nahrungsmittel zeigen, dass Vieles , wie Fleisch, Zucker, Eier, Fett oder sogar ausreichend Brot vor allem in den Städten nur sehr eingeschränkt oder gar nicht zu haben war.
Das Amtsblatt für die Stadt Vilsbiburg gibt beispielsweise im April 1915, vor Ostern, bekannt:
„Auf Grund des Art.4, Ziff.2 des Kriegszustandsgesetzes bestimme ich:
I. Der Verkauf von gefärbten Eiern sowie das sog. Eierspecken wird verboten.
II Zuwiderhandlungen werden mit Gefängnis bis zu 1 Jahr bestraft ….
General v. Tann
Zudem wird festgelegt: „Brot darf in Gastwirtschaften nur an Gäste verabreicht werden … Der Gast erhält zu jeder Mahlzeit nur 1 Scheibe Brot. Das Anbieten von Mehlspeisen …ist verboten.“
Wer keinen Garten hat, zu alt oder krank ist, der ist auf Unterstützung der Familie oder der Gemeinde angewiesen ? oder er muss sich einschränken bis zum Hungern.
Not macht erfinderisch …
Es erschienen viele Bücher und Texte in Zeitschriften mit Tipps zum preisgünstigen Kochen bzw. zum Ersatz von rationierten Lebensmitteln. So wurde etwa empfohlen, Kaffee durch z.B. Zichorie/Löwenzahnwurzeln zu ersetzen oder Mehl durch z.B. geriebene Kastanien. An allen Ecken sollte und musste gespart werden.
Bei allen Einschränkungen der Zivilbevölkerung litten aber trotzdem auch die Soldaten unter mangelhafter Ernährung und schlechter Versorgung, wie Briefe zeigen, die trotz strenger Zensur die Familien von den Frontsoldaten erreichten.
Weihnachtslieder statt Kanonendonner
Diese Einschränkungen, verbunden mit ständigen Strapazen, Leid und Todesgefahr betraf die Menschen auf allen Seiten. Auch französischen, russischen oder englischen Soldaten erging es nicht besser. Dass sich die Menschen dieser Tatsachen bewusst waren, dass sie, anders als es die Propaganda behauptete, den Gegner nicht hassten, zeigt eindrücklich, dass die einfachen Soldaten während des Krieges an Weihnachten das Schießen einstellten. Man besuchte sich in den gegnerischen Schützengräben, zeigte Fotos von Angehörigen, tauschte kleine Geschenke aus — und teilte gemeinsam das wenige Essen.
Ronald MacKinnon, ein kanadischer Soldat an der Westfront, berichtete 1916 in einem Privatbrief: ?Wir hatten einen Waffenstillstand am Weihnachtstag, und unsere deutschen Freunde waren sehr freundlich. Sie kamen herüber, um uns zu sehen, und wir tauschten Corned Beef gegen Zigaretten. Weihnachten war sehr gut.? (zit. nach S.F. Kellerhof, WELT v. 20.12.2016)
Sich an die Weihnachtsbotschaft erinnern
Gerade in Zeiten des Überflusses ist es angebracht, sich der Bedeutung guten Essens und gemeinsamen Essens zu erinnern. Wir führen in einer ungeheuer reichen Wohlstandsgesellschaft ein Leben, das für viele Millionen Menschen weltweit kaum erreichbar scheint. Für diese sind Mangel und Not noch immer ständige Begleiter und gerade an Weihnachten tun wir gut daran, uns unserer Geschichte und unserer Verantwortung zu erinnern. Der Kampf gegen den Hunger ist stets auch ein Einsatz für den Frieden.
Wahrlich kein schlechtes Motto, gerade an Weihnachten.
Noch ist nicht absehbar, wann das Museum wieder geöffnet werden kann. Sollten die bestehenden Beschränkungen im neuen Jahr aufgehoben werden, lohnt sich ein Besuch der Ausstellungen im Heimatmuseum Vilsbiburg. (Mi.14 -16 Uhr, So 10-12 Uhr, Gruppen nach Vereinbarung.)