So oder so die Heimat verloren
Ab dem Jahr 1940 waren Südtiroler Kinder im St.-Johannesheim untergebracht
Vilsbiburg. Es war dies auch eine Art, die Kindheit in Vilsbiburg zu verleben. Vor
fast genau 77 Jahren wurden hier 50 Kinder, die man ihrer Südtiroler Heimat
beraubt hatte, mit einer gedrechselten Pressemeldung empfangen. Man war
offensichtlich stolz darauf, die erste Stadt im Reich zu sein, in der die
entwurzelten Kinder untergebracht wurden. Ihre neue Bleibe war das St.-
Johannesheim an der damaligen Kirchstraße. Das im Jahr 1885 als
?Rettungsanstalt für Kinder? eröffnete Gebäude erzählt in seiner langen
Geschichte von den verschiedensten Begebenheiten bis hin zu internationalen
Ereignissen. Darin eingebettet ist auch das Schicksal der Südtiroler in der Folge
einer zweifelhaften Vereinbarung, auf die sich die beiden Diktatoren Adolf Hitler
und Benito Mussolini im Jahr 1939 geeinigt hatten.
Von der Machtübergabe an die Nationalsozialisten im Jahr 1933 hatte sich die
deutschsprachige Bevölkerung in Italien anfangs eine Stärkung ihrer Volksgruppe
versprochen. Doch es sollte völlig anders kommen. Sechs Jahre später schlossen
nämlich Hitler und Mussolini ein Abkommen zur Umsiedlung der
deutschsprachigen Menschen in Südtirol, in den Sieben Gemeinden der Provinz
Vicenza und der Ladiner. Wer das Angebot zur Ausreise nach Deutschland
annehmen wollte, wurde als ?Optant? bezeichnet. Alle anderen stufte man als
?Dableiber? ein und beraubt sie ihrer wichtigsten Bürgerrechte. Unter anderem
mussten sie ihre angestammte Sprache und Kultur verleugnen und verloren auf
diese Weise auch ihre Heimat.
Nachdem die Südtiroler Kinder reichlich euphorisch in Vilsbiburg begrüßt wurden,
drehte sich das Räderwerk des typisch deutschen Bürokratismus. Für jedes der
Kinder wurde eine Personalmappe angelegt, in der man eine Menge von
Informationen festhielt, beispielsweise Angaben zum Gesundheitszustand, der
Größe und dem Gewicht des Kindes. Weiter gab es Bescheinigungen über den
Bezug von Lebensmittelmarken und schließlich Angaben über die rassische
Zugehörigkeit. Im Pfarrarchiv hat Museumsleiter Lambert Grasmann noch 23
dieser Personalakten ausgegraben. Sie geben Auskunft darüber, dass auch in den
folgenden Jahren immer wieder Kinder aus Südtirol nach Vilsbiburg umgesiedelt
wurden.
Auch diese weniger erfreulichen Ereignisse gehören zum gesamten Komplex derKindheit in Vilsbiburg die einen Zeitraum von ca. 70 Jahren bis zum Jahr 1960
umspannt. Die unterschiedlichen Begebenheiten zu dem vielschichtigen Thema
machen die Sonderausstellung im Heimatmuseum und das als Band 19 der Reihe
Vilsbiburger Museumsschriften erschienenen Begleitbuch so interessant.