Rettungsanstalt für verwahrloste Kinder
St. Johannesheim mit reicher Geschichte – Sonderausstellung am Dionysimarkt
Schon mehrfach war im Zusammenhang mit der aktuellen Sonderschau im Heimatmuseum „Kindheit in Vilsbiburg“ von dem mächtigen Bauwerk etwas abseits der Frontenhausener Straße die Rede. In dem Gebäude laufen Lebenslinien von europäischer Dimension zusammen. Am Beginn des II. Weltkrieges sind dort Kinder aus Südtirol zu Gast, die von den Diktatoren Hitler und Mussolini aus ihren Familien gerissen werden. Nach dem erhofften „Endsieg“ sollen sie irgendwo in den Weiten des russischen Reichs zusammen mit ihren Familien als so genannte Wehrbauern aufwachsen und eine neue, germanische Kultur gründen. Als diese hochtrabenden Pläne auf der ganzen Linie scheitern, sind Flüchtlingskinder aus dem Osten Deutschlands und der Ukraine dankbar, in dem Gebäude eine vorübergehende Bleibe finden zu können. Bei so viel geballter Historie lohnt es sich, einmal einen Blick auf die Anfänge des St.-Johannesheims zu werfen.
Anfang des Jahres 1854 gelangen die Kommunalpolitiker im Bezirks Vilsbiburg, der dem späteren Landkreis entsprach, zu der Überzeugung, es müsse dringend etwas ?zur Pflege verwahrloster Kinder? getan werden. Also gründet man einen Zweigverein einer in München bestehenden Organisation mit entsprechender Zielsetzung. Nach einem Bericht des Heimatforschers und Pfarrers Bartholomäus Spirkner sieht die Vilsbiburger Organisation zunächst ihre Aufgabe darin, Spenden für das geplante Unternehmen zu sammeln. Zehn Jahre später tritt die Organisation erneut ins Licht der Öffentlichkeit. Der äußerst aktive Pfarrer Dr. Joseph Neumayer veröffentlicht im Amtsblatt die Statuten der „Rettungsanstalt für Kinder“. In den folgenden Jahren beginnt die eigentliche Betreuung in einer provisorischen Anstalt, die in einem Rest des ehemaligen landwirtschaftlichen Anwesens beim „Gratzl“ im Bereich des jetzigen Heims untergebracht ist. In den frühen 1880er Jahren kann dank einer großzügigen Spende der aus Thalham stammenden Bauerstochter Eva Weindl mit einem Neubau begonnen werden. Planung und Ausführung wird dem Vilsbiburger Baumeister Anton Wagner übertragen, der die Maßnahme mit 52.000 Mark in Rechnung stellt.
Der Pfarrer „holt sich den Tod“
Ein eifriger Förderer des St.-Johannesheims ist der Nachfolger Dr. Neumayers, der aus dem Bayerischen Wald stammende Dekan Joseph Straubinger. Er schließt nicht nur die von seinem Vorgänger begonnene Regotisierung der Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt ab, sondern treibt auch die Grundstückverhandlungen und den Neubau des Heims voran. Dieser kann im Sommer 1885 abgeschlossen werden. Pfarrer Straubinger ist es allerdings nicht mehr vergönnt, die feierliche Eröffnung mitzuerleben. Es wird berichtet, der Geistliche habe den Fortgang der Bauarbeiten akribisch kontrolliert und sich bei häufigen Visiten in dem zugigen Rohbau ?den Tod geholt?. Er stirbt schon im August 1884.
Ein im Jahr 1935 von Stadtpfarrer Dr. Anton Goetz herausgegebenes Informationsblatt spricht davon, dass die Leitung der Anstalt dem jeweiligen Ortsgeistlichen und die Betreuung der Kinder den Armen Franziskanerinnen aus Mallersdorf obliegt. Es folgen Bestimmungen über die Aufnahme der Zöglinge, ihren erforderlichen Gesundheitszustand, das jährliche Kostgeld, die mitzubringenden persönlichen Dinge und vieles andere mehr. Im Jahr 1940 werden die Schwestern quasi über Nacht ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zum Auszug gezwungen. Um die Unterbringung der betreuten Kinder haben sie sich selbst zu kümmern. Die damals in Vilsbiburg den Ton angebenden Politiker haben dafür beim besten Willen keine Zeit. Sie müssen sich vielmehr darauf vorbereiten ?als erste Stadt im Reich? die aus Südtirol ankommenden Kinder ?auf das herzlichste zu begrüßen?.