Im Gasthaus das Wissen eingetrichtert
Lambert Grasmann erinnert sich an den ungewöhnlichen Schulbetrieb bei Kriegsende
Vilsbiburg. Die Zeit, als ein großspuriger Hermann Göring getönt hatte, wenn je eine feindliche Maschine die deutschen Grenzen überfliege, wolle der Hermann Meier heißen, lag schon etwas zurück. Obwohl das Vilstal nur sporadisch Ziel alliierter Bombenangriffe wurde, störte am Ende des II. Weltkrieges immer häufiger Luftalarm das beschauliche Leben. Zur Sicherheit wurden die Kinder dann nach Hause geschickt. Doch sie kamen nicht etwa aus dem Knaben- oder Mädchenschulhaus, beide an der Kirchstraße gelegen; sie verließen vielmehr Vilsbiburger Gasthäuser. Nachdem die Schulgebäude für kriegswichtige Zwecke beschlagnahmt waren, wurde der Unterricht in den Kuferwirt, später Wackwirt in der Kirchstraße, den Schmiedwirt neben dem Café Konrad den Gambrinus in der Herrnfeldener Straße und den Buschwirt in der Nähe des Bahnhofs ausgelagert. Zum Religionsunterricht mussten die Schüler auf den Berg zur Maria-Hilf-Kirche pilgern. Pater Olaf Becht vermittelte die Christenlehre in einem Zimmer zwischen der Sakristei und dem Altarraum.
Nach dem Einmarsch der amerikanischen Truppen am 1. Mai 1945 kam der Schulbetrieb völlig zum Erliegen. Die Klassen 1 bis 4 wurden erst im September 1945 wieder zum Unterricht gerufen; die älteren Jahrgänge hatten gar bis Anfang des nächsten Jahres frei. Dann wurde es in angestammten Gebäuden sehr eng. Eine große Zahl aus der Heimat vertriebener Schüler drängte sich in den Klassenzimmern. Gleichzeitig fehlen etliche Lehrer, nämlich jene, die in den vergangen Jahren ihre nationalsozialistische Gesinnung zu offen vor sich her getragen hatten und daher vom Dienst suspendiert waren. An eine geordnete Wissensvermittlung war bei bis zu 70 Schülern in einem Raum, von denen viele mangels Sitzgelegenheiten auf den Fensterbrettern hockten, wohl kaum zu denken.
Und täglich eine Löffel Lebertran
Der amerikanischen Besatzungsmacht lag besonders das leibliche Wohl der Kinder im besiegten Deutschland am Herzen. Als Stärkungsmittel gegen die Folgen von Unterernährung und zur Verhütung von Rachitis stellten sie den aus der Leber von Seefischen gewonnenen Tran zu Verfügung. Die Schüler hielten das allerdings für eine weniger gute Idee, empfanden sie doch den Geschmack als penetrant und versuchten immer wieder der Verabreichung des täglichen Löffels zu entkommen. Doch die Hausmeisterin Elisabeth Brauner, allgemein bekannt als ?Schuilies?, wusste dies in ihrer resoluten Art meist zu verhindern. Wesentlich beliebter war da schon die Schulspeisung, bei der die Kinder im Kolpinghaus von der Gastwirtsfamilie Reichl verköstigt wurden. Ermöglicht wurde das Programm durch Mitteln der Militärregierung und der teilnehmenden Gemeinden sowie durch private Spenden um die öffentlich geworben wurde.
Nicht unerwähnt bleiben soll auch die von den Amerikanern angestoßene intensive Jugendarbeit. Hintergedanke war, dem von NS-Gedankengut infiltrierten deutschen Nachwuchs die freiheitlich geprägte Demokratie nahe zu bringen. Im so genannten Amerikahaus, der ehemaligen NS-Kreisleitung an der Frauensattlinger Straße lagen in einer Bibliothek westliche Bücher und Zeitschriften aus und es gab unterschiedliche Kurse und Freizeitangebote. Auch das Heimatmuseum mit seinem Leiter Gustav Laube war mit Vorträgen und Filmvorführungen in das Programm eingebunden. Absolute Publikumsmagnete waren jedoch die Seifenkistlrennen, die unter der amerikanischer Schirmherrschaft bis in die 1950er Jahre am Berger Anderl Berg in der Seyboldsdorfer Straße oder in der Bergstraße ausgetragen wurden. So kurz nach dem Weltfrauentag sollte auch an einen interessanten Nebenaspekt hingewiesen werden: Schon damals hatten sich selbstbewusste Vilsbiburger Mädchen zu einer Protestkundgebung eingefunden, weil ihnen die Teilnahme an den Rennen verwehrt worden war. Lambert Grasmann beschreibt in der aktuellen Museumsschrift noch viele Begebenheiten aus der Zeit um das Kriegsende, an die wohl die meisten vor dem Krieg geborenen Vilsbiburger trotz der schweren Zeit noch gerne zurückdenken. Auffrischen kann man die Erinnerungen im Heimatmuseum.