Produktfälschung im fernen Pustertal
Kröninger Keramik war im Südtirol sehr beliebt und wurde deshalb nachgemacht
Vilsbiburg. Man kennt es von den Mechanismen der globalisierten Industriegesellschaft: Ostasiatische Tüftler besorgen sich europäische Qualitätswaren, zerlegen diese in ihre Einzelteile und bauen sie täuschend echt nach. Was man für eine moderne Unsitte halten könnte, hat bereits eine jahrhundertelange Tradition. Die Kröninger Hafner auf den Märkten von Bozen und Meran, aber noch mehr eine große Zahl Geschirr handelnder und zwischen Südtirol und Niederbayern pendelnder Kraxenträger und Karrenzieher sorgen südlich des Alpenhauptkamms für die Verbreitung der Keramik aus dem Kröning und von der Bina. Dabei wird den ortsansässigen Hafnern schnell deutlich, wie hoch das fremde Geschirr mit seinen vollendeten Formen und Dekors bei den Verbrauchern im Kurs steht. Die Südtiroler wollen ihre Marktanteile nicht kampflos preisgeben und ahmen die Kröninger Machart kurzerhand nach. Auf den ersten Blick gelingt ihnen das auch ganz ordentlich.
Dorothea von Miller vom Südtiroler Volkskundemuseum in Dietenheim bei Bruneck berichtet, in ihren Sammlungen befinde sich mehr als 20 Prozent Keramik aus dem Kröning. Der Museumsbestand spiegle in etwa die Ausstattung eines realen bäuerlichen Haushalts in Südtirol wider. Die Zuordnung der Dietenheimer Keramiken erfolge im Wesentlichen nach Abbildungen und Beschreibungen in den Büchern „Hafnergeschirr aus Altbayern“ von Dr. Ingolf Bauer und „Die Hafner auf dem Kröning und von der Bina“ von Lambert Grasmann. Der Regensburger Keramikexperte Dr. Werner Endres stehe den Südtiroler Museumsleuten bei ihrem Projekt beratend zur Seite. Speziell handle es sich bei der Importware aus Niederbayern um Henkelflaschen, so genannt Bluzer, die zum Transport von Flüssigkeiten verwendet wurden, Teller, Schüsseln, flache Henkeltöpfe, auch ?runde Rein?, ?Krautdegl? oder ?Dampfnudldegl? genannt. Die runden Reinen seien in Südtirol auch als ?Honighafen? bezeichnet worden, weil man in ihnen das Produkt der fleißigen Bienen aufbewahrt habe.
Imitationen beiderseits
Dorothea von Miller schreibt weiter, die keramischen Erzeugnisse aus dem Kröning und von der Bina unterschieden sich im Allgemeinen sehr deutlich von den im Pustertal produzierten Formen. Ein Erzeugnis, das die niederbayerischen Hafner mit großer Wahrscheinlichkeit speziell für den Export über den Brenner produziert haben könnten, sei eine Bügelrohrkanne, die im Volksmund auch als ?Tuttlkrug? bezeichnet worden sei. Bei diesem kleinen bauchigen Topf steche zunächst der oben angesetzten Henkel und dann der aufgesetzte Ausguss ins Auge. Durch dessen kugelförmiges Ende sei der Krug wohl bewusst als Trinkgefäß für Kleinkinder konstruiert worden. Sehr stark von der niederbayerischen Keramik hätten die Südtiroler Hafner wahrscheinlich bei verschiedenen Milchschüsseln, auch ?Weidling? genannt und ganz unzweifelhaft bei einem großen Krapfenteller aus dem Bestand Freilichtmuseums inspirieren lassen. Der Teller, eindeutig eine Pustertaler Arbeit, versuche sich mit dem beliebtem Kröninger Tupfendekor als Importware zu tarnen. Nehme man das Stück allerdings in die Hand, werde die Imitation allein schon durch sein erheblich höheres Gewicht offenbar.
So erzählen die in der aktuellen Sonderausstellung im Vilsbiburg Heimatmuseum Exponate noch heute von dem regen technologischen Austausch zwischen der Kröninger und Binataler Keramiklandschaft und Südtirol. Die Ware kam einerseits über Märkte an die Verbraucher, hauptsächlich jedoch durch Karrner und Kraxenträger. Diese Leute gehörten zur untersten sozialen Schicht und waren sicher dankbar, auf ihren langen Reisen gut und günstig unterkommen zu können. Auch zu diesem Aspekt kann das Südtiroler Volkskundemuseum für die Keramikforschung ein interessantes Dokument beisteuern. Es handelt sich um eine Bewilligung aus dem Jahr 1825 des dortigen Kreisamtes an den Hafner Joseph Kuntner. Ihm wird seinerzeit gestattet, Karrner und Geschirrabnehmer in seinem Wohnhaus aufzunehmen und sie dort auch kochen zu lassen.