Ein Dampfross am Beginn des Niedergangs
Die Eröffnung von Eisenbahnstrecken trägt zum Ende des Hafnerhandwerks bei
Vilsbiburg. Es ist ein freudiger Tag dieser 4. Oktober 1883, als zum ersten Mal ein dampfendes Ungetüm mit einem Extrazug in den hiesigen Bahnhof einfährt. Endlich ist der beschauliche Marktflecken mit seinem ländlichen Umland an das überregionale Eisenbahnnetz angeschlossen. Ob jemand in den Hafnerwerkstätten des Marktes Vilsbiburg, im Kröninger Gebiet oder an der Bina daran denkt, dass an diesem Tag das Tor aufgestoßen wird für eine Menge unliebsamer Konkurrenten? Braungeschirr aus Sachsen, Bunzlauer Töppe, Email- und Eisengeschirr aus der Oberpfalz, Steingut aus Lothringen, Steinzeug aus dem Westerwald und vieles andere mehr findet nun bequem den Weg in das Vilsbiburger Land.
Im Februar 1910 kündigt das Ofengeschäft Gebrüder Bauer im Oberen Markt die Ankunft eines Waggons sächsischen Braungeschirr, speziell Milchweidlinge an. Zu diesem Zeitpunkt, nur wenige Jahre vor dem I. Weltkrieg, ist allerdings auch für Milchweidlinge, ob nun aus dem Kröning oder aus Sachsen, schon die letzte Runde eingeläutet. Anno 1899 bietet der Glaser und Zinngießer Kröner per Inserat den Landwirten einen Steinzeug-Milchkühler zum Entrahmen an und bereits ein Jahr später kommt im landwirtschaftlichen Maschinengeschäft von Josef Seidl, ebenfalls in Vilsbiburg, die Milchzentrifuge Fram auf den Markt. Mit diesem Gerät geht das Separieren von Rahm und Magermilch im Handumdrehen. Wer will sich da noch mit dem umständlichen Aufstellen der Milch in Weidlingen abmühen?
Verlust der eigenen Geschichte
Dies alles sind unerwünschte Einflüsse von außen, die eigentlich von den Hafnern auf dem Kröning und an der Bina eine Reaktion erfordert. Doch dazu sind die inneren Strukturen des Handwerks nicht mehr widerstandsfähig genug. Im Jahr 1901 beispielsweise planen die Meister eine Jubelfeier anlässlich des ?250-jährigen Bestehens des Kröninger Hafnerhandwerks?. So ein Vorhaben sei doch positiv, möchte man auf den ersten Blick meinen. Doch bei näherem Hinsehen erkennt man, wie sehr die Hafner zu diesem Zeitpunkt bereits ihre stolze Tradition eingebüßt haben. Es wird offenbar völlig vergessen, dass dem Handwerk bereits im Jahr 1428 vom Landshuter Herzog eine Hafnerordnung gegeben wurde. Liest man die Begründung für die angedachte Feier wird alles klar: Sie ?würde auch das gesunkene Ansehendes Hafnergewerbes wieder heben. ? Einer Aufrüttelung bedarf es, um unser Gewerbe vor dem weiteren Verfalle zu bewahren.?
Fehlender Gemeinschaftsgeist
Vor diesem Hintergrund ist nicht weiter verwunderlich, dass die Jubelfeier nicht stattfindet. Stattdessen werden sämtliche Meister und Gesellen zu einer Besprechung eingeladen über die der Kirchberger Seelsorger Sebastian Rauchensteiner frustriert berichtet: ?Leider ist nicht der 3. Teil derselben erschienen. Es gibt unter den Hafnern kein Zusammenhalt, keinen Gemeingeist, nur Sonderinteressen.? Trotzdem gibt es noch einmal ein Aufbäumen. Im Jahr 1902 gründen einige weitblickende Hafnermeister, unter ihnen auch Benno II Zettl aus Bödldorf, eine Hafnerrohstoff-Genossenschaft. Zweck des Unternehmens ist es, durch gemeinsamen Einkauf die hohen Preise für Holz, Glasuren, Werkzeuge und Maschinen abfedern zu können. Doch die gut gemeinte Kooperation leidet an Mitgliederschwund und wird nach nur neun Jahren liquidiert. Und wieder ist es ein Pfarrer, dieses Mal Bartholomäus Spirkner, der als Ursache dafür den ?Geist der Uneinigkeit, der Eigenbrötelei und der ungeordneten Selbstliebe? brandmarkt.
Mangelnde Lernbereitschaft
Das Angebot wäre da gewesen: Bereits im Jahr 1873 wird in Landshut die Königliche Töpferschule gegründet. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, die berufliche Qualifikation im keramischen Handwerk zu heben. Doch der damalige Bürgermeister von Kröning schreibt dazu lapidar, diese Bildungseinrichtung habe auf die hiesige ?Tonwarenindustrie keinen Einfluss?. Auch Fachleute der Ministerien, die im Hafnergebiet für die Schule werben, konstatieren eine ausgeprägte Interesselosigkeit in den Betrieben. Wie wenig die aber angebracht ist, offenbart nicht nur die gefährliche Berufskrankheit der in den Betrieben tätigen Personen. Lambert Grasmann hat die Ordinationsbögen des Vilsbiburger Krankenhauses der Jahre 1865 bis 1905 ausgewertet. In dieser Zeit befinden sich nicht weniger als 381 Hafner in stationärer Behandlung und in den meisten Fällen ist das Blei in den Glasuren die Ursache. Es verwundert nicht, dass angesichts dieser Gesundheitsrisiken die Obrigkeit zunehmend Verkaufsverbote erlässt und die Verbraucher ihrerseits von derlei Geschirr Abstand nehmen. Der Gerechtigkeit die Ehre gebend muss allerdings erwähnt werden, dass sich einige Hafner zum Besuch der Töpferschule motivieren lassen, unter ihnen auch Benno II Zettl. Er experimentiert auch zu Hause mit alternativen Glasuren. Aber erfahren darf das im Kröning niemand. Schließlich hat der I. Weltkrieg dem Hafnerhandwerk auf dem Kröning und an der Bina den letzten Todesstoß versetzt. Viele hoffnungsvolle junge Männer, die vielleicht noch einen Neuanfang hätten wagen können, kommen auf den Schlachtfeldern um.
Auch nachdem der letzte Brennofens schon längst erloschen ist, kann der Niedergang des Hafnerhandwerks für die heutige globalisierte Welt als Lehrstück aus der Historie dienen: Wo man seine Geschichte vergisst, sich nicht mehr an veränderte Rahmenbedingungen anpassen kann, nichts mehr dazulernen will und wo es an Zusammenarbeit mangelt, werden am Ende nur noch Verlierer stehen.