Maria als Frau aus dem einfachen Volk
Das Altarbild in der Maria-Hilf-Kirche geht auf Cranach den Älteren zurück
Vilsbiburg. Die Marienverehrung hat im ausgehenden Mittelalter im christlichen Abendland einen sehr hohen Stellenwert. Daher herrscht sowohl für die Andacht in Gotteshäusern wie auch in privaten Haushalten eine gesteigerte Nachfrage nach entsprechenden Darstellungen. Somit gehört diese Kunstgattung zum täglichen Geschäft für nahezu alle bildenden Künstler der damaligen Zeit. Sei es nun das Motiv Maria mit dem Kind, die Schutzmantelmadonna, die Pieta, die Muttergottes in der Sonne, Maria unter dem Kreuz und an der Krippe oder die Immaculata – die Erwartungen der Kunden sind vielfältig und werden gerne bedient. Einer der Marktführer in diesem Genre ist der um 1475 in Kronach geborene Lucas Cranach, in dessen Werkstatt mutmaßlich rund 5000 Tafelbilder, davon nicht weniger als 120 Mariendarstellungen angefertigt werden.
Der junge Lucas hat das Glück in eine wohlhabende Familie hinein geboren zu werden. So genießt er bereits in seiner Heimatstadt eine künstlerische Ausbildung. Nach den obligatorischen Wanderjahren erhält er im Jahr 1504 eine Anstellung als Hofmaler bei Kurfürst Friedrich dem Weisen von Sachsen und übernimmt die Malerwerkstatt im Wittenberger Schloss. Die Geschäfte laufen so prächtig, dass Cranach später eine Apotheke kaufen kann und auch als Buchhändler und Verleger tätig wird. Zusätzlich fungiert der angesehene Bürger auch wiederholt als Stadtoberhaupt. In Wittenberg, dem Herzen der Reformation, schließt der Freundschaft mit Philipp Melanchthon und Martin Luther, dessen Trauzeuge er ist und auch die Patenschaft über Luther ältesten Sohn Johannes übernimmt. Um das Jahr 1550 geht Cranach mit seinem Dienstherren in die neue Residenz nach Weimar wo er im Oktober 1553 stirbt. Auf seinem Grabstein wird er als „der schnellste Maler“ bezeichnet. Die Malerwerkstatt wird von seinem Sohn Lucas der Jüngere weitergeführt.
Entstanden ist das Bild der Maria mit dem Kind wohl in den 1530er Jahren auf Geheiß des Kurfürsten. Im Gegensatz zu anderen Gemälden wird dieses Motiv in Cranachs Malbetrieb nur einmal ausgeführt. Das Madonnenbild zeigt eine in der Art der einfachen Bevölkerung gekleidete junge Frau in Dreiviertelfigur vor dunklem Hintergrund die ein nacktes Kind in den Armen hält. Bis auf die für Mariendarstellungen typische rot-blaue Farbenkombination der Kleidung zeigt das Abbild der die Frau kein erkennbares Marien- oder Heiligenattribut. Ihr Haupt ist von einem nahezu durchsichtigen Schleier bedeckt der auch über den Kopf des Kindes fällt. Christus in der Gestalt eines hilflosen Knaben wendet sich Schutz suchend der Mutter zu, steckt seine Hände nach Hals und Kinn der Mutter aus; sein rechtes Bein schwingt er über deren Unterarm. Die Frau umfasst das Kind zwar mit beiden Händen, blickt aber mit erstem Gesicht über dieses hinweg auf den Betrachter. Sie symbolisiert damit eine Vorahnung von dem bevorstehenden Leid Christi und der eigenen Hilflosigkeit. So wird der Jesusknabe zur Allegorie für die in mannigfaltigen Nöten bei höheren Mächten Hilfe suchende Menschheit.
Das damals noch namenlose Marienbild bleibt vom Bildersturm der Reformationszeit verschont weil es in der privaten Galerie des Kurfürsten aufbewahrt ist. Dort befindet es sich, bis im Jahr 1611 ein österreichischer Erzherzog zu Besuch nach Weimar kommt und das Kunstwerk als Gastgeschenk mit nach Passau nimmt. Auf diesem Weg gelangt eine Kopie des Gemäldes von Lucas Cranach auch nach Vilsbiburg. Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte.