Die passive Einschläferung des Ferkelmarktes

Reger Handel prägte mehr als hundert Jahre an jedem Samstag das Ortsbild

 
Es war sehr übersichtlich geworden auf den traditionsreichen Handelsplatz zwischen der Mayerschen Apotheke und dem Elektrogeschäft Hammer. Nur wenige Bauern kamen noch mit ihren jungen Schweinen nach Vilsbiburg. Sie vermarkteten ihre Tiere lieber ab Hof und so konnten auch die Viehhändler keine Geschäftsgrundlage für sich mehr erkennen. Die Stadtväter zeigten sich angesichts des Niedergangs besorgt und als Bürgermeister Josef Billinger am 7. Februar 1974 das Thema auf die Tagesordnung setzte, dachte man sich für den seit mindestens 1856 nachweisbaren Ferkelmarkt eine hinhaltende Vorgehensweise aus.

 

Bedauert wurde diese Entwicklung vom Gremium zwar schon, gehöre doch der Markt seit Jahrhunderten zum Stadtbild. Man werde künftig auf die Erhebung von Gebühren und die Erstellung von Marktberichten zu verzichten. „Durch dieses passive Verhalten soll der Markt quasi eingeschläfert werden.“ So liest sich der für  die Formulierungskünste des damaligen Geschäftsleiters Karl Fromberger typische Eintrag im Protokollbuch. Im November beschäftigte sich das Gremium erneut mit der Thematik. Die Einschläferungs-Strategie hatte Wirkung gezeigt; denn seit Mai dieses Jahres seien kaum noch Ferkel angefahren worden. Davon leitete der Stadtrat mangelndes Interesse an dem Markt ab und beschloss, ihn Ende des Jahres einzustellen.

 

Wie war das gut zwei Jahrzehnte vorher noch anders! Im Jahr 1949 ging es den Verbrauchern, anders als heute, keineswegs um die Vermeidung von Kalorien im täglichen Nahrungsangebot. Da lobte der Vilsbiburger Anzeiger die Bedeutung der sprunghaften Erhöhung des Schweinebestandes nach dem Krieg. Einen wesentlichen Anteil an dieser für die Ernährung der Bevölkerung wichtigen Entwicklung leisteten die Viehmärkte. „Rückblickend darf man wohl behaupten, dass Bauer und Züchter gemeinsam mit dem Händler die katastrophalen Versorgungszustände der ersten Nachkriegsjahre schneller überwunden hat, als man zu hoffen wagte“, stellt das Blatt zusammenfassend fest.

 

Die ordnende Hand von Michael Wippenbeck

 

Über die etwas formale Betrachtungsweise des Presseberichtes hinaus brachte der Vilsbiburger Ferkelmarkt Samstag für Samstag pralles Landleben mitten in die Stadt. Die Bauern aus dem Vilsbiburger Land kamen mit Pferdefuhrwerken oder Motorradanhängern, die fortschrittlicheren auch mit Bulldog oder VW-Käfer und stellten ihre Erzeugnisse zur Schau. Unumschränkter Herrscher über das Geschehen war Gemeindediener Michael Wippenbeck. Er kassierte die Marktgebühr von 50 Pfennigen pro Stück, die auch das Entgelt für die Viehbeschau enthielt. Daher kam er auch immer in Begleitung des Amtstierarztes. Um sich das lästige Zählen der Jungtiere zu ersparen, fragte Wippenbeck den jeweiligen Landmann, wie viele Ferkel er dabei habe. Gestimmt habe die genannte Zahl nie, erinnert sich sein Enkel Johann Allertseder. Aber war die Abweichung nicht zu gravierend, wurde es geduldet.

 

Denn es gab zuweilen entschieden größeres Konfliktpotential auf dem Ferkelmarkt. Einige Schlauberger unter den Viehhändlern erwarteten die eintreffenden Bauern bereits an der Vilsbrücke und lotsten sie in das Löchl, um dort unter Ausschaltung der Obrigkeit ihre Geschäfte abzuwickeln. Diese Praktiken waren vom Gemeindediener unverzüglich zu unterbinden. Natürlich waren auch seriöse Kaufleute auf dem Platz zu finden. Der legendären Außermeier Otto gehörte dazu, ebenso wie Josef Michalski, Hans und Fred Holzner und Josef Seisenberger. Und dann gab es noch die so genannten Schmuser, wie der Danner Mich einer war. Sie beobachteten intensiv die Szenerie und versorgten die Viehhändler gegen ein kleines Entgelt, den „Schmus“ mit wertvollen Tipps. Doch dabei war Vorsicht geboten. Unsichtbar lag über dem Markt ein fein abgestimmtes Netz von Reviergrenzen. Und wenn ein Schmuser dem anderen „ins Gäu“ ging, konnte er sich schon einmal eine saftige Watschn einhandeln. Gelegentlich mussten sogar die Beamten der Stadtpolizei ihre Wache im Rathaus verlassen, um die Streithähne amtlicherseits zu besänftigen.                                       

 

Treffpunkt von Stadt und Land

 

Doch alle Aufgeregtheiten waren vergessen, wenn es um das leibliche Wohl ging. Dafür sorgte während des Marktes der Schlecht Sepp mit seinem Wurstkessel, den er in der Metzgerei Stammler mit heißen Weißen und Wienern füllte. Er versorgte übrigens auch die Beamten und Angestellten in den Behörden der Kreisstadt, die Anfang der 1950er Jahre am Samstagvormittag noch in ihren Büros anwesend zu sein hatten. Und auch nach Marktende eilte niemand mit hektischer Geschäftigkeit nach Hause. Die Bauern hatten mit 25 bis 30 Mark pro Ferkel gut verdient, die Händler immer noch Geld übrig, andere ihren Schmus oder ein wenig Schwanzlgeld in der Tasche. Genug auf jeden Fall für eine Maß (oder auch mehrere) in den Gasthöfen am Platze, beim Stammler, beim Haslbeck und beim Bräu oder auch in den kleineren Wirtschaften, wie beim Wackerlwirt oder beim Vogel in der Kirchstraße, von wo der kleine Hans seinen Opa zuweilen abholen musste, wenn er beim Kartenspiel aufs Heimgehen vergessen hatte.

 

Der Ferkelmarkt  war über das reine Handelsgeschehen hinaus Treffpunkt und Informationsbörse im weitesten Sinn. Er zog er auch Leute an, die weder einen Läufer oder ein Spanferkel zu verkaufen hatten, noch vorhatten, solche Tiere zu erwerben. Sondern einfach nur Neuigkeiten erfahren wollten. So manch anderes Geschäft wurde am Vilsbiburger Stadtplatz eingefädelt. Und wenn eine Hochzeiterin gesucht wurde, wusste sicher irgendwer, wo eine solche zu finden und wie viel Geld sie mitzubringen in der Lage war. Den Ferkelmarkt hatte man zu besuchen, lautete für verschiedene Bevölkerungskreise ein ungeschriebenes Gesetz. Einer der Beteiligten erzählt noch heute, dass sich in seiner Familie ausgerechnet an einem Samstag Nachwuchs eingestellt hatte. Über die Prioritäten gab es keinerlei Diskussion: Erst ging man auf den Markt und dann zur Frau ans Wochenbett.
Peter Barteit