Carl Spitzweg war in Vilsbiburg

Der Meister des Biedermeier war in Vilsbiburg.
Carl Spitzweg, langjähriger Freund von Eduard Schleich, besuchte die Spitalkirche.

Das Original ist im Besitz der Benedikt-Auer-Stiftung. Eine Kopie dieser Zeichnung von Carl Spitzweg ist an den üblichen Öffnungszeiten des Heimatmuseums in der Spitalkirche zu sehen.
 
 
 

In Windeseile huscht der Bleistift über den Skizzenblock und bannt Landshuter Gotik in ihrer Vollendung aufs Papier. Das linke Maßwerk der Empore ist noch detailgetreu ausgeführt, ebenso der Beginn des Spitzbogens darunter. Diagonal nach rechts unten werden die Einzelheiten nur angedeutet. Möglicherweise drängt ein ungeduldiger Begleiter zur Eile oder der Zeichner setzt sich selbst unter Zeitdruck. Noch ein paar Striche, schon hat man das Gotteshaus wieder verlassen und steht auf dem saalartigen Marktplatz.

 

So ungefähr kann man sich die Szene am 8. September 1839 vorstellen, als der Meister des Biedermeier eine Stippvisite in der kleinen, intimen Kapelle macht. Und weil der Künstler zur Gewissenhaftigkeit erzogen wurde, versieht er auch dieses Fragment mit seinem Namen und der Signatur, einer liegenden, einem großen „S“ umschlungen Raute. Zu erforschen wäre allerdings noch, was den Maler aus München in den kleinen Marktflecken geführt hat. War er nur auf der Durchreise oder stattete er irgendjemandem in Vilsbiburg einen Besuch ab? War er allein unterwegs oder in Begleitung? Unwillkürlich denkt man da natürlich an den Landschaftsmaler Eduard Schleich aus Haarbach. Doch diesen wird Spitzweg erst fünf Jahre später kennenlernen.

 

 

Aus guter Familie

 

Vor genau 200 Jahren, im Februar 1808 wird er in eine großbürgerliche Münchner Familie hineingeboren. Seine Eltern betreiben in der Neuhauser Straße ein Unternehmen mit dem etwas sperrigen Firmenschild „Tuch-, Wollen-, Baumwollen-, Seiden- und Spezereiwaren, Kommission und Spedition“. Vater Simon Spitzweg ist im gesellschaftlichen Leben der Haupt- und Residenzstadt eine feste Größe. Er bekleidet das Amt eines Vorstehers des Gemeindekollegiums und ist Abgeordneter des Bayerischen Landtags. Die starke ökonomische Ausrichtung des Vaters lässt den künstlerischen Ambitionen seines Zweitgeborenen keinen Raum. Allenfalls die Mutter fördert Carls Begabung insgeheim. Der Patriarch hat bereits beschlossen: Simon, der älteste Sohn, übernimmt das Geschäft, Carl wird Apotheker und dessen drei Jahre jüngerer Bruder Eduard studiert Medizin. Wobei der geschäftstüchtige Vater im Hinterkopf hat, wie ideal sich Letztere bei ihrer Berufsausübung einmal ergänzen können.

 

 

Spitzweg wird Apotheker

 

Nachdem Widerspruch sinnlos erscheint, tritt Carl mit 12 Jahren in das Münchner Wirtschaftsgymnasium ein und beginnt fünf Jahre später in der Königlichen Hof- und Leibapotheke seine Ausbildung als Lehrling. Im Jahr 1829 geht er nach Straubing und verdingt sich in der dortigen Löwenapotheke als Gehilfe. Die dortigen beruflichen Enttäuschungen, gleicht er eine künstlerische Tätigkeit beim „Liebhabertheater“ in der Gäubodenmetropole aus. Das anschließende  Studium der Pharmazie in München schließt Spitzweg 1832 mit einem glatten Einser ab. Doch nun hat er erst einmal genug von Pillen und Salben und unternimmt eine ausgedehnte Italien-Reise. Nach der Rückkehr bezieht Spitzweg eine eigene Wohnung in der Dienerstraße und fasst während eines Kuraufenthalts den endgültigen Entschluss, Künstler zu werden.

 

 

Spitzweg der Autodidakt

 

Dabei verzichtet Spitzweg allerdings bewusst auf einen Besuch der Münchner Akademie. Die erscheint ihm unter dem schwierigen Direktor Peter von Cornelius als zu konservativ. Stattdessen sucht der junge Maler die Gesellschaft von Kunstjüngern, die dem erstarrten Akademiebetrieb den Rücken gekehrt hatten oder denen dort die Tür gewiesen wurde – wie beispielsweise Eduard Schleich. Im Jahr 1844 lernt Spitzweg den niederbayerischen Adelsspross kennen. Es ist der Beginn einer ausgedehnten Phase gemeinsamer Malreisen und einer lebenslangen Freundschaft. In den nächsten 13 Jahren besuchen sie die bayerischen Alpen, den Chiemsee, Tirol, Triest, Venedig und die renommierte Künstlerkolonie von Barbizon bei Paris, wo sie die moderne Form der realistischen Landschaftsmalerei studieren. Weitere Ziele sind Leipzig, Dresden, Berlin und immer wieder die Galerie im Schloss von Pommersfelden. Sie kommen auch nach Belgien, Holland und England. Interessant ist der Auszug aus einem Brief, den Spitzweg im August 1851 aus London an seinen Bruder Eduard richtet: „… Schleich hatte ungeheure Manschetten vor dem Seefahren und that sehr ernsthaft und einsilbig. Doch es lief alles gut ab… Nach einem derben englischen Frühstück wagten wir uns endlich zu Fuß in die Straßen, und Schleich versicherte mir, wenn er allein hier wäre, so würde er gleich heute Abend wieder abreisen.“

 

Durch die jahrzehntelange Verbindung mit Schleich entwickeln die beiden eine bahnbrechende Art der Landschaftsmalerei mit einer nahezu impressionistischen Freiheit der Naturauffassung. Was der Freund jedoch immer zu vermeiden gewusst hat, wird bis in die Mitte von Spitzwegs Schaffenszeit zu seinem Markenzeichen: die liebenswerte Darstellung des täglichen Lebens im Biedermeier. Für unzählige Beispiele stehen der Bücherwurm, der eingeschlafenene Nachtwächter und der arme Poet, eine Satire auf die Mittellosigkeit vieler Künstler. Die erzählerischen Züge in Spitzwegs Werken treten ab der Mitte des 19. Jahrhunderts mehr und mehr zurück. Mit dem armen Poeten, dem wohl bekanntesten seiner Kreationen erlebt Carl gerade im Jahr seines Besuches in Vilsbiburg eine herbe Enttäuschung. Die Jury des Münchner Kunstvereins kann sich 1839 nicht entschließen, das Bild für einen Wettbewerb anzunehmen.

 

 

Die Geisel der Cholera

 

Vielleicht liegt die Ursache seiner Reise ins beschauliche Niederbayern auch in einer Cholera-Epidemie, von der München wiederholt heimgesucht wurde. Spitzweg hat gegen die Ansteckung eine wirksame Überlebensstrategie entwickelt: Er flieht vor der Seuche. Im Winter 1873/74 wird die Hauptstadt heftiger als je von der Krankheit heimgesucht. Spitzweg zieht sich rechzeitig nach Tirol zurück und ermahnt seinen Weggefährten Eduard Schleich eindringlich, München zu verlassen. Doch dieser bekommt zu dieser Zeit gerade einen hohen Orden und bleibt. Prompt wird Schleich infiziert und stirbt am 9. Januar 1874 im Alter von nur 61 Jahren. Carl überlebt seinen Freund um elf Jahre. Gerade in dieser Zeit finden seine Arbeiten endlich die verdiente Anerkennung. Nicht über Schleichs Auszeichnung (das hätte sich der liebenswürdige Zeitgenosse nie erlaubt) sondern über seinen eigenen Michaelsorden hat Spitzweg 1865 ein Spottgedicht verfasst, das ihn auch als scharfsinnigen Dichter zeigt:
Wenn einer einen Orden kriegt,
Bei uns ist’s so der Brauch,
Sagt jeder grad zu ihm ins G’sicht:
„Verdient hätt‘ ich ihn auch!“
Wahrhaft erfreulich ist dies schon,
Es gibt ein treues Bild!
Wie hoch muss stehen die Nation,
Wo jeder sich so fühlt!
Peter Barteit