Und immer wieder diese „Hochwasser“
Erinnerungen des Kapuzinerpaters Palmatius Mühlbauer an die Kindheit in Vilsbiburg
Vilsbiburg. Oswald Kolle, der Pionier aller Sexualaufklärer war noch nicht geboren und so wurden vor mehr als 100 Jahren andere Gewalten der Natur als Erklärung für das Unaussprechliche bemüht. Die Kinder des Kürschners Andreas Mühlbauer kannten das Aufbäumen des Flusses zur Genüge. Sie brauchten nur neugierig vom Fenster auf die hölzerne Brücke zu schauen an deren drei Jochen sich in vielen Wintern die Eisschollen stauten. Wenn dann das Wetter umschlug und heftiger Regen einsetzte, trat die Vils über all ihre Ufer. So erschien es durchaus nachvollziehbar wenn der Vater mitten in der Nacht die Kinder mit der finstere Warnung weckte: ?Kinder, das Hochwasser kommt?. Zu ihrer Sicherheit wurden sie dann zur Reiser Nanni auf die andere Seite des Marktplatzes gebracht.
Die ältere Dame wird vom Autor als „gute fromme Seel„ geschildert, die alle Tage bereits im vier Uhr früh zur Wallfahrtskirche Maria Hilf auf dem Berg hinauf ging. Die brave Frau bestätigte die Flunkerei von Vater Mühlbauer und packte die Kinder in ihr Bett. Als sie dann anderntags nach Hause kamen, lag die Mutter krank im Bett und daneben stand ein Wagerl mit einem kleinen Kind. Doch damit hatten die Ausflüchte noch kein Ende. Der Vater brüstete sich gar mit einer Lebensrettung: Das Kindlein sei im Hochwasser auf der Vils daher geschwommen und er habe es heraus gefischt. Auch die Reiserin, die von ganz Vilsbiburg nur die „Mühlbauer Nanni„ genannt wurde, weil sie ehemals 30 Jahre im Haushalt des Kürschnermeisters tätig war, bestätigte die schaurige Mär. Als die Matthias, wie der spätere Pater mit bürgerlichem Namen hieß, und seine Geschwister bei früheren Hochwassern auf der Vils daher schwammen, sei auch der Metzger Bachmaier mit einem langen Hackel auf dem Floß gestanden um die Kinder zu bergen, aber der Kürschner sei ihm zuvor gekommen. Da waren die Kinder aber erleichtert; ?denn den alten Bachmaier mit seinem schmierigen Janker und seinem faden Gesicht, den hätten wir nicht als Vater haben mögen.?
Ein Sperl im Hintern
So beschreibt der Ordensgeistliche, geboren am 13. Januar 1887 zu einer Zeit, als ein ordentlicher Eisstoß im Bereich des Möglichen lag, seine Erinnerungen. Vermutlich brachte er sie in der Zeit des I. Weltkrieges in höchst vergnüglich kindlich-naiver Manier zu Papier. Auch eine Begebenheit, an die er sich mit Sicherheit selbst nicht mehr erinnern konnte, die man ihm jedoch später in lebhafter Weise schilderte. Die Mutter hatte ihn gerade gewickelt und liebevoll ins Kindswagerl gelegt? doch der Bub brüllte im wahrsten Sinne wie am Spieß. Auch das sonst so wirkungsvolle Schlaflied der Mutter verfehlte seine Wirkung total. Da kam der Vater, offensichtlich ein Mann der Tat, untersuchte den Bub etwas genauer und entdeckte die Stecknadel tief drin ?wo auch die kleinen Kinder drauf sitzen?. Andreas Mühlbauer nahm kurzerhand eine Zange und zog den Fremdkörper heraus. Der Sohn vertritt in seinen Aufzeichnungen scherzhaft die Auffassung, der Vater habe ihm ?dadurch das Leben gerettet?.
In dieser unterhaltsamen Weise gehen die Berichte in der neuesten Museumsschrift aus der Zeit des späten 19. Jahrhunderts im alten Vilsbiburg weiter: von den ersten Schlägen, die damals durchaus zu einem geregelten Tagesablauf gehörten, über die Engelämter in der Spitalkirche und die Badehütte auf der Vils bis hin zur Prüfung durch die geistliche Schulaufsicht. Darin steckt ausreichend Stoff für eine weitere Betrachtung.