„Mit heiliger Gewalt ins Herz der Zuschauer“ – Vilsbiburg als Passionsspielort vor 100 Jahren-Vor genau hundert Jahren wurde in Vilsbiburg das Marienfestspiel erstmals aufgeführt.
Passionsspiele in Neumarkt/Oberpfalz, in Thiersee/Tirol, in Oberammergau, in Vilsbiburg …
Passionsspiele in Vilsbiburg? Passionsspiele, die das Leiden Christi ins Zentrum stellen, gab es seit dem 17. Jahrhundert in vielen Orten, so auch in Velden, Frontenhausen oder Eggenfelden. In Vilsbiburg wurde 1774 das letzte Passionsspiel in der Karwoche aufgeführt.
Passionsspiele religiös, aber auch politisch und wirtschaftlich von Interesse
Da war um 1920 die Idee Vilsbiburger Bürger, ein Marienfestspiel aufzuführen, gar nicht so weit hergeholt. Schließlich gab es mit der Marien- Wallfahrt zur „Maria-Hilf-Kirche“ in Vilsbiburg und mit der alljährlichen großen Prozession zum Fest „Mariä Namen“ schon große Anknüpfungspunkte in der Stadt zur besonderen Verehrung der Mutter Gottes. Dass schließlich 68 Bürger 1921 eine Vilsbiburger Marien- Passionsspiele GmbH gründeten und diese mit 240000 Mark Gesellschaftskapital ausstatteten, war sicher auch im Interesse des damaligen Bürgermeisters Josef Brandl, der sich davon einen politischen Schub versprach für die angestrebte Stadterhebung. Entsprechend argwöhnisch bis neidvoll betrachteten viele in den Nachbargemeinden die Pläne Vilsbiburgs. „ Zweifelsüchtig blieben nur jene, die jenseits der Gemarkung Vilsbiburgs … sich nicht darüber klar werden konnten, ob sie ihren Nachbarn an der Vils den erstrebten Erfolg auch gönnen dürfen…“. Das schrieb der Benediktinerpater Michael Huber 1924 in das Programmheft anlässlich der Aufführung.
Viel Einsatz notwendig
Um die religiös, politisch, aber auch wirtschaftlich interessante Idee umzusetzen, war allerdings eine Menge Planung, Vorarbeiten und Kapital nötig. Der Plan für ein eigens zu errichtendes Festspielhaus wurde angesichts der hohen Kosten schnell fallengelassen, stattdessen wählte man den Post-Saal, dessen Besitzer Hans Urban ebenfalls Gesellschafter der GmbH war. 550 Sitzplätze und mehr als 100 Stehplätze bot dieser Saal, der für die Uraufführung der „Liebfrauenfestspiele“ ausgewählt wurde.
Was war nicht alles vorher zu bedenken! Einen versierten Spielleiter fand man in dem Franziskanerpater Dr. Schmidt, der schon die Passionsspiele in Erl/Tirol erfolgreich geleitet hatte. Die Texterstellung übertrug man dem Benediktinerpater Bonifaz Rauch, die musikalische Umrahmung bzw. Vertonung vertraute man dem Pater Viktor Eder an. Mit dessen Arbeit war die Gesellschaft allerdings nicht zufrieden und so führte der gebürtige Vilsbiburger Prof. Kaspar Heinrich Schmid, Direktor am Konservatorium in Augsburg, die Arbeit fort. Die Kostüme fertigten die Armen Schulschwestern, diverse Kirchen- und Bühnenmaler besorgten das aufwändige Bühnenbild.
Dargestellt werden sollten schließlich in 20 Stationen oder „Bildern“ das Leben Marias und die Passion Christi. Jedes Bild wurde vor einer eigenen Landschaft und mit passender Beleuchtung auf einer zweigeteilten Bühne aufgeführt. Die etwa 100 Darsteller und Darstellerinnen für Jesus, die Maria, Adam und Eva, Herodes, Josef, Maria Magdalena, viele Engel, den Satan, Soldaten, Handwerker oder Hirten stammten sämtlich aus Vilsbiburg. Der „schwerfällige, lässige die Bequemlichkeit liebende niederbayrische Dialekt mancher Darsteller“, wie ein Kritiker ausgerechnet aus der Oberpfalz anmerkte, wird sich wohl mit der Zeit gelegt haben, es wurde nicht mehr erwähnt. Der wahrscheinlich nicht ganz neutrale Autor, der schon genannte Pater Huber, hingegen merkt u.a. zur Vilsbiburger Marien-Darstellerin an: „Einen Vergleich mit der Maria-Darstellerin in Oberammergau anzustellen, erübrigt sich … Ihr Spiel ist von … Zartheit und Schlichtheit durchzogen. Jedes Wort und jede Gebärde dringt mit unwiderstehlicher heiliger Gewalt ins Herz der Zuschauer.“ Ähnlich begeistert äußert er sich auch über die anderen Vilsbiburger Darsteller.
Von Anfang an erfolgreich
Trotz mancher finanzieller, organisatorischer oder inhaltlicher Probleme war schon die erste Aufführung vor fast genau 100 Jahren, am 17. September 1922, ein großer Erfolg. Im folgenden Jahr gab es zwischen dem 29. April und dem 15. September (Maria Namen) schon 55 Aufführungen vor meist begeisterten Zuschauerinnen und Zuschauern. Speziell unter Pilgern, die zur Maria-Hilf-Wallfahrt oder nach Altötting wollten, waren die „Liebfrauenfestspiele“ sehr beliebt. So kamen 1925 tausend Pilger aus Forchheim oder 1700 aus Bamberg auf dem Weg nach Altötting bzw. Andechs im Jahr 1931. Den größten Besucheransturm erlebte die Stadt allerdings 1928, als mehr als 5000 ehemalige Soldaten des 1. Weltkriegs zu den Aufführungen anreisten. Sicherlich logistisch eine große Herausforderung, doch bei Eintrittspreisen zwischen 3 und 5 Mark und vieler hungriger Mägen auch finanziell durchaus lohnend.
Abruptes Ende der „Liebfrauenfestspiele“ 1932 Weshalb endete die bis dahin erfolgreiche Festspielzeit im September 1932 so abrupt? Man kann nur mutmaßen, aber die Weltwirtschaftskrise spielte bei der Entscheidung sicher eine Rolle. Vor allem aber dürfte die Machtübernahme der Nationalsozialisten ab 1933 ausschlaggebend gewesen sein, die Festspiele einzustellen. Die religiöse Bindung vieler Menschen war ihnen ein Dorn im Auge, Massenveranstaltungen außerhalb ihrer Kontrolle waren ihnen suspekt, die Ausrichtung auf den Krieg war schon früh im Gange. Als die NSDAP 1934 die gesamten Kostüme beschlagnahmte und an die Spinnstoffsammlung weitergab, war das Ende der Aufführungen besiegelt. Nach dem Krieg knüpfte man in Vilsbiburg nicht mehr an die Festspieltradition an, nur das noch immer mit einer Prozession groß begangene Fest Maria Namen erinnert noch an diese einmalige Vilsbiburger Ortsgeschichte. In das Bild klicken zu einer Videopräsentation