Der Kampf um das Blei im Geschirr
Konflikt zwischen der Sorge um Gesundheit und den Erhalt von Arbeitsplätzen
Vilsbiburg. Dieses Spannungsverhältnis bestimmt unser tägliches Leben: Wie viel Radioaktivität aus den Kernkraftwerken ist der Volksgesundheit zuträglich, welche Mengen Nitrat dürfen noch im Trinkwasser sein und wann beginnt die vom Straßenverkehr verursachte Feinstaubbelastung zum Problem zu werden. Dagegen steht die Notwendigkeit, Energie und Lebensmittel zu erzeugen, den Transport von Gütern und Personen aufrecht zu gewährleisten, kurz: Die Wirtschaft in Schwung zu halten und damit Arbeitsplätze zu sichern. Also werden Grenzwerte erfunden, von denen Kritiker behaupten, sie würden so hoch gehängt, dass die Industrie mühelos darunter hindurch schlüpfen könne. Im Prinzip bestimmt eine Auseinandersetzung dieser Art vor rund 150 Jahren das Leben und Arbeiten der Menschen auf dem Kröning und an der Bina.
Die Suche nach bleifreien Glasuren
Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts erkennt die Obrigkeit die Gefahr durch das im Geschirr enthaltene Blei. Im Jahr 1828 lobt die Regierung des Isarkreises ein namhaftes Preisgeld für die Entwicklung bleifreier Glasuren aus. Der Erfindergeist wird dadurch offensichtlich nicht sonderlich beflügelt; denn 15 Jahre später sieht sich der Vilsbiburger Landrichter Moritz Karl Anton Bram veranlasst, in einer Bekanntmachung die folgende Verhaltensweise vorzuschreiben: "Bei Bereitung des Topfen Laiblkäses soll man ihn nicht in glasirten Hafnergeschirren stehen lassen, weil sich durch die erzeugte Milchsäure die Glasur auflöset, den Käs mit Blei vergiftet und die Gesundheit schädlich macht …" Man sieht an diesem Beispiel, wie die Problematik Kreise zieht: Es geht nicht nur um die Arbeitssicherheit der Hafner bei der Produktion des Geschirrs, sondern auch darum, Schaden von den Benutzern abzuwenden.
Wie Lambert Grasmann in dem zur Sonderausstellung im Heimatmuseum Vilsbiburg erschienenen Begleitbuch weiter schildert, zieht die Obrigkeit in den folgenden Jahren die Daumenschrauben weiter an. Im Jahr 1868 findet eine von der Königlichen Polizeidirektion München Visitation im Kröninger Hafnergebiet statt, die das Handwerk in seinen Grundfesten erschüttern soll. Man findet Produkte, die, so der Polizeibericht, "welche mit einer leicht löslichen Mischung von Schwefelblei gefertigt sind und demnach der menschlichen Gesundheit in hohem Grade gefährlich werden können". Ein vorläufiger Produktions- und Verkaufsstopp der Geschirrwaren ist die Folge.
"Familien werden brotlos"
Weitere Untersuchungen folgen im Winter 1868/69. Neben anderen wird auch der Meister Matthias Kaspar von Wippenbach befragt. Er argumentiert, wenn das Geschirr ordentlich bei ausreichend hohen Temperaturen gebrannt sei, löse sich die Glasur nicht auf. Schließlich schlagen sich die Regierung von Niederbayern und das Innenministerium in München auf die Seite der Hafner. Ihr wichtigster Beweggrund ist, durch ein weiteres Produktions- und Verkaufsverbot würden viele Familien ihre Existenzgrundlage verlieren. Außerdem sei nur ein Bruchteil der Werkstätten und von diesen nur vergleichsweise wenige Stücke analysiert worden. Schließlich werden die Untersuchungsmethoden des Vilsbiburger Apothekers Hormayer in Zweifel gezogen. Ein Aufatmen muss über das Land gegangen sein als das Bezirksamt Vilsbiburg im Januar 1869 die Sanktionen gegen das Kröninger Handwerk wieder aufhebt.
Aber die Hafner werden das Thema in den folgenden Jahren nicht mehr los. Neben dem durch die Veröffentlichungen hervorgerufenen Imageproblem müssen sie auch in der Folgezeit immer wieder lästige Fragen und Begutachtungen der Gesundheitsbehörden über sich ergehen lassen. Zusätzliche Faktoren beschleunigen den Niedergang, sodass um das Jahr 1930 mit dem Brennofen von Sebastian Eder in Jesendorf ein einst so mächtiges und traditionsreiches Handwerk für immer erlischt.