Zum Todestag von Pater Dr. Viktrizius Weiß am 8. Oktober
Milde war der Grundsatz seines Wesens
Zum Todestag von Pater Dr. Viktrizius Weiß am 8. Oktober
„Kann denn ein Niederbayer ein Heiliger werden?“ fragt Thomas Jechtl in einem Bericht im Straubinger Kalender vom Jahr 1995. Und dann fügt er auch gleich hinzu: „Der in Heiligkeit gestorbene Pater Viktrizius war von 1908 bis zu seinem Tod 1924 im Kapuzinerkloster Vilsbiburg“.
Ein Senfkorn? Dieses ist eines von den kleinsten aller Sämereien. So klein und unansehnlich das Senfkörnlein ist, so klein und unscheinbar gab sich der im Kapuzinerkloster Vilsbiburg in Heiligkeit verstorbene Pater Viktrizius Weiß. Aus dem Senfkorn ist ein mächtiger Baum geworden. Aus dem schüchternen Stundenten Anton Weiß wurde der Präfekt und Dozent im erzbischöflichen Priesterseminar in Freising, ein Prediger in der Freisinger Domkirche, ein Doktor der Theologie, ein Pater Viktrizius und Provinzial der Bayerischen Kapuziner.
Von der gesundheitlichen Natur seines mit 79 Jahren im Jahr 1889 in Landshut verstorbenen Vaters, dem Chirurgen und Wundarzt Anton Weiß, hatte sein Sohn, der Kapuzinerpater und Doktor der Theologie Pater Viktrizius nicht viel mitbekommen. Anton Nikolaus, so war sein Name vor seiner Einkleidung in Burghausen im August 1875; dann bekam er den Habit der Kapuziner und auch den Namen Viktrizius – der Siegreiche.
Mit 66 Jahren zog er sich vor fast genau 100 Jahren, im August 1908 in das Kapuzinerkloster auf den Maria Hilf-Berg bei Vilsbiburg zurück und hier verbrachte er noch 16 Lebens- und Ordensjahre. Unter seiner Provinzialleitung wurde das damals verwaiste Kloster Vilsbiburg im Jahr 1886 von den Kapuzinern übernommen. Das Kloster auf dem Maria Hilf-Berg unmittelbar an der Straße, auf dem Weg von seiner Geburtsstadt Eggenfelden zur Stadt Landshut, wo seine Familie im Jahr 1854 sich sesshaft gemacht hatte und er seine achtjährige Gymnasialzeit verbrachte. Der Gesündeste war Pater Viktrizius nie, eine Kurzatmigkeit begleitete ihn zeitlebens, was im Alter dann zu starken Hustenanfällen führte. Dennoch konnte Viktrizius das stattliche Alter von 82 Jahren erreichen.
Pater Ingbert Naab schreibt sechs Jahre nach seinem Tod im Jahr 1930 in seiner erstellten Biographie über P. Viktrizius: Viktrizius war demütig, freundlich, heiter, teilnehmend, gütig im vollkommenster Gnad; er besaß auch Humor, Lächeln, Gemeinschaftsgeist, Herablassung. Ebenso gewiss ist auch dies: er konnte nur Spaß verstehen, aber nicht Spaß machen, er konnte nicht herzhaft auflachen, nicht necken, er konnte nicht stürmisch begrüßen, nicht die Hände drücken und schütteln, er konnte nichts eilig nehmen, er konnte nicht laut rufen und bewegt gestikulieren. Das alles war es, was den Verkehr mit ihm eigenartig gestaltet hat. Und doch fühlte man sich zu ihm so außerordentlich hingezogen, nicht im gewöhnlichen gesellschaftlichen Sinn, wie man sich mit irgendeinem Bekannten gut unterhält, sondern in Verehrung und kindlichem Vertrauen. Er strahlte Vertrauen aus und gab das Gefühl von sich: mit dem Mann möchte ich über alles sprechen können, was meine Seele berührt.
Im August 1908 legte P. Viktrizius nach Ablauf seiner letzten dreijährigen Amtszeit das Bayerische Kapuziner-Provinzialat endgültig nieder. Er zählte jetzt 66 Jahre. Von zunehmender Kränklichkeit gezeichnet, zieht er sich in das Kapuzinerkloster auf dem Maria-Hilf-Berg in Vilsbiburg zurück. Hier lebte er ein heiliges Leben in Tugend, Gebet und Arbeit, bis ihn der Herr am 8. Oktober 1924 in die Ewigkeit abruft. Viktrizius hatte in den letzten Jahren seines Lebens ein Blasenleiden, Hämorrhoiden, ein Herzleiden das ihm öfters das Blut gegen den Kopf trieb, mehrere Lungenentzündungen, hatte Wunden an den Füßen, von den Fersen bis zum Schienbein. Ein durch Reizung der Bronchien bewirkter Husten war so stark, dass Erstickungsanfälle eintraten. Zuletzt war der ganze Körper mit Geschwüren bedeckt, die nacheinander aufbrachen und sich neu bildeten. Wegen peinlicher Störung der Mitbrüder musste er schließlich die Kommunität meiden. Außerdem war er in den letzten acht bis zehn Jahren fast erblindet und recht schwerhörig. So lange seine körperlichen Kräfte ausreichten, machte er die ganze Ordnung mit im Chor, im Refektorium und in der Erholung – einer klösterlichen Unterhaltung. Je stärker er jedoch an Schwerhörigkeit litt, desto weniger konnte er daran teilnehmen. Aber um der Gemeinschaft willen wollte er nie fern bleiben.
In seiner Zelle wollte er nichts Überflüssiges haben, hielt sie jederzeit sauber, alle Gegenstände standen an ihrem Platz, das Pult war aufgeräumt und die Bücher an ihrem Ort. Sein Habit war arm und abgetragen, aber immer reinlich. Nach altem Ordensbrauch unterließ er es nicht, für jede Kleinigkeit die ihm gegeben wurde, den Segen des Herrn zu erbitten. Auch die Armut im persönlichen Gebrauch hielt er ungemein hoch. Beim Essen genoss er nur das Notwendigste. Später konnte er vieles nicht mehr vertragen und nahm in der Regel etwas Brei oder eine Art Mus zu sich.
Er stand mit den übrigen Mitbrüdern in der Früh um viertel vor fünf Uhr auf und bereitete sich zur hl. Messe vor. Auch als Greis von 80 Jahren pflegte er regelmäßig um halb sechs Uhr zu zelebrieren, und zwar im Chor beim Hochaltar der Maria Hilf-Kirche. Nach der Messe machte er seine Danksagung, wobei er allen hl. Messen beiwohnte bis um acht Uhr, sofern er nicht durch den Beichtstuhl in Anspruch genommen war. Dann nahm er sein Frühstück und begab sich später zur Anhörung der täglichen neun Uhr Messe. Von der Zeit an, als er das Augenlicht verloren hatte, erbat er sich um zehn Uhr aus den Reihen der Patres einen Vorleser. Er ließ sich den Betrachtungsstoff für den kommenden Tag vorlesen, ebenso etwas aus dem Leben der Heiligen. Nachmittags pflegte er regelmäßig in die Kapuziner-Hauskapelle zu gehen und dort seinen gewohnten täglichen Kreuzweg mit innigster Andacht zu beten. Er pflegte dabei von Station zu Station zu gehen, obwohl ihn in seinen letzten Monaten kaum die Füße mehr trugen. Am Spätnachmittag ließ er sich regelmäßig etwas über das göttliche Herz Jesu vorlesen. Als sein Gehör immer schlechter wurde, merkte er nicht mehr, dass er die Gebete unablässig halblaut vor sich hin sprach. Im Refektorium, auf den Gängen des Hauses, auf den Stiegen überall betete er unablässig. Es war ergreifend, wie der alte Pater nach der hl. Messe lange Zeit unbeweglich, das Taschentuch vor das Gesicht haltend, im Chor kniend, halb sitzend verbrachte. Die Tränen, welche die Bank befeuchtet hatten, sagten genug darüber aus, mit welcher inneren Ergriffenheit Viktrizius mit seinem Heiland verhandelt hatte.
Wir dürfen wohl annehmen, dass Pater Viktrizius die höheren Gebetsgnaden hatte, die mystische Vereinigung mit Gott. Vier Tage vor seinem Tod, am Franziskustag, führte ihn sein Weg nachmittags noch einmal in die Hauskapelle, wo er die Wand entlang tastend den Kreuzweg betete.
Der selige Heimgang
Die Zeit war gekommen, wo der von schwersten Leiden gemarterte Leib seinen Dienst versagen musste. Ende Juli oder August 1924 hielt man das Ende des von Schmerzen verzehrten Mannes für nahe. Es war ihm sehr schmerzlich, dass er mit Rücksicht auf seine Armseligkeit gegen die Kapuzinersitte den Habit ablegen musste. Aber sein Befinden besserte sich, und alsbald ging er wieder in den Chor und in die Hauskapelle. Mit Aufgebot aller Kräfte las er noch die hl. Messe bis zum 3. Oktober 1924. Es war ein Herz-Jesu-Freitag. Der Krankenbruder Hermas verständigte den Hausoberen, dass die Kräfte des P. Viktrizius vollständig zu Ende seien. Infolge verbot ihm der Hausarzt Messen zu zelebrieren, was sicher aber schon so unmöglich gegangen wäre. Trotzdem schleppte sich der schwerkranke Mann am Nachmittag des Franziskustages, am 4. Oktober, noch einmal verstohlen in die Hauskapelle, um dort zum letzten Mal den Kreuzweg zu beten. Am Samstag, Sonntag und Montag ließ er sich vom Krankenbruder in die Hauskapelle führen, um dort mit ergreifender Andacht zu kommunizieren. Gar gerne hätte er am Sonntag der hl. Messe beigewohnt, aber der Krankenbruder fürchtete, er würde zusammenbrechen. Da er es dennoch versucht hätte zur Messe zu gehen, sperrte Bruder Hermas die Zellentüre ab. Als der Krankenbruder von der Kirche zurückgekommen war, sagte Viktrizius vorwurfsvoll, aber lächelnd zu ihm: „Gell du hast mich eingesperrt.“ Es scheint, dass er es doch versucht hatte, die Türe zu öffnen, um der Messe noch beiwohnen zu können.
Am Dienstagmorgen den 7. Oktober meldeten sich die Anzeichen des nahen Todes. Die Sinne schwanden, die Zunge versagte ihren Dienst; er wollte immer noch etwas reden, aber man verstand ihn nicht mehr. Der Krankenwärter Bruder Hermas benetzte wiederholt seine Zunge mit Wein; dankbar drückte er ihm dafür die Hand. Von Mittag an, lag er ganz ruhig da. Die Nacht von Dienstag auf Mittwoch röchelte er. Am Mittwochnachmittag war in der Kirche der gewöhnliche Rosenkranz. Danach stimmten die Patres im Chor der Wallfahrtskirche Lobgesänge an. Gerade als von den Mitbrüdern das Benediktus angestimmt wurde, begann P. Viktrizius zu sterben. Bei den letzten Worten dieses Lobgesanges – „zu leiten unsere Schritte auf den Weg des Friedens“ – war er selber in den Frieden Gottes eingetreten und hatte seine Seele in die Hände des Schöpfers zurückgegeben. Es war am Mittwoch den 8. Oktober 1924 gegen 18 Uhr abends.
Nach altem Ordensbrauch wurde der Leichnam von den Brüdern gewaschen und angekleidet. Am anderen Tag wurde der Leichnam im Sprechzimmer bei der Klosterpforte, wo er so viele geistliche Beicht gehört und so viele Seelen getröstet hatte, aufgebahrt. Viele Leute kamen, um seinen Leichnam zu sehen, und berührten daran ihre Rosenkränze. Benefiziat Obermeier berichtet über den Anblick der Leiche: „Unvergesslich bleibt mir der Moment, als ich an den Leichnam herantrat. Anstatt das herkömmliche und mir längst bekannte Zerstörungswerk des Todes zu schauen, leuchtete mir ein ganz verklärter Leichnam entgegen. Mein Auge war entzückt ob der Schönheit des Toten, und sofort war mir klar: für die abgeschiedene Seele zu beten, ist hier ganz nutzlos. Von diesem Gedanken konnte ich mich bis auf den heutigen Tag nicht mehr befreien.“
Auch dem Kapuzinerpater Ingbert Naab, welcher sechs Jahre nach dem Tod von P. Viktrizius im Jahr 1930 „Ein Lebensbild“ von Pater Viktrizius Weiß geschrieben hatte, und von Passau zum Begräbnis nach Vilsbiburg gekommen war, erging es eben so, als er die Leiche des von ihm Hochverehrten Exprovinzials ansichtig wurde: „Eine Schönheit lag über dem Gesicht des Toten ausgegossen, welche sie Pater Viktrizius im Leben nie gehabt hat.“ Sie ergriff ihn in der tiefsten Seele.
Seine Exzellenz der Regensburger Diözesanbischof Dr. Anton von Henle gab nach der Beerdigung beredend zum Ausdruck: „(…) Es war sein letzter Herzenswunsch, seine letzten Lebenstage in Vilsbiburg zu verbringen. Der liebe Gott hat ihm diese Gnade gewährt, und er wird schon aus Dankbarkeit ein beständiger Fürbitter sein für die Pfarrei Vilsbiburg. Ich wünsche nur noch das eine: Sorgen sie, dass das Andenken dieses heiligmäßigen Mannes nicht verwischt werde im Andenken des Volkes!“
Peter Käser