Raritäten vor dem Vergessen bewahren
Heimatverein versucht seit 25 Jahren mit Erfolg alte Fotos zu identifizieren
Vilsbiburg. Es ist viel Betrieb auf dem alten Vierseithof. Von links wird eine Schafherde ins Bild getrieben, im rechten Bildteil zeigt man, dass die Landwirtschaft vier stolze Rösser ihr Eigen nennt. Rechts im Vordergrund lagert allerhand Federvieh. Der Bauer hat sich mit seinem Hofhund zentral im Geschehen aufgestellt, während sich weitere Personen taktvoll im Hintergrund halten. Sie stehen an der Wand des langgestreckten Wohnstallhauses mit dem schön geschnitzten Schrot und der Brotzeitglocke am First oder auf der Gred. Die Szenerie wurde vom Fotografen, vielleicht war es Sebastian Alt, auf das Sorgfältigste arrangiert und trotzdem war es für das Heimatmuseum nur eine gekonnt durchkomponierte alte Aufnahme. Einen heimatkundlichen Wert hätte sie erst wenn man sagen könnte, wo das Bild entstanden ist.
Es war vor fast genau 25 Jahren, als sich einige Mitarbeiter des Heimatmuseums über das historische Foto beugten. Vermutungen schwirrten durch den Raum, der Bauernhof könne sich dort oder dort befunden haben. Andere Aktive waren strikt gegen diese Version und vermuteten die Landwirtschaft in einem völlig anderen Teil der engeren Heimat. Einig war man sich nur darüber, dass man mit Hypothesen kein Archiv seriös führen kann und die Landwirtschaft dringend eine Ortsbezeichnung brauche. Plötzlich kam der rettende Einfall: „Warum versuchen wir es nicht über die Zeitung?“ Dies war die Geburtsstunde einer Erfolgsgeschichte, die nun seit einem viertel Jahrhundert Woche für Woche ein noch anonymes Foto aus dem schier unerschöpflichen Fundus des Museums zur Diskussion stellt. Nach einigen, damals noch etwas umständlichen technischen Vorbereitungen erschien das Foto des Bauernhofes am 19. November 1988 in der Vilsbiburger Zeitung. Das Echo war ermutigend: Schnell bekam Museumsleiter Lambert Grasmann den Hinweis auf die den Hof in Thal I in der früheren Gemeinde Wolferding. Angespornt durch diesen Anfangserfolg publizierte der Heimatverein nunmehr fast an jedem Samstag ein Suchbild; insgesamt waren es bereits weit über tausend. Nach einer akribischen Auswertung der im Museumsteam dafür zuständigen Mitarbeiterin Sylvia Michl zwischen siebzig und 80 Prozent der Veröffentlichungen aufgeklärt.
Natürlich freut sich der Heimatverein über jede weiterführende Auflösung, helfen sie doch entscheidend, den sonst nur schönen Bildern eine Identität und eine Karteikarte zu geben, die sie für spätere Forschungen und Publikationen nutzbar machen. Schon dieser Mehrwert lohnt das wöchentliche Tätigwerden und für Museumsleiter Lambert Grasmann die gelegentliche Entgegennahme von Anrufen in früher Morgenstunde. Das Salz in der Suppe sind jedoch Kuriositäten und Glanzpunkte die das Museumsteam immer wieder in Begeisterung versetzen. Beispielsweise wenn ein Suchbild, wie erst vor wenigen Wochen geschehen, mit einer Verzögerung von geschlagenen 22 Jahren aufgelöst wird. Nachdem es dazu aus dem Nachbarlandkreis Dingolfing-Landau stammt liegen hier ein besonderer Glücksfall vor und vielleicht auch der Grund für die lange Inkubationszeit.
Aufregung in Tittenkofen
Kein besonders gutes Gefühl hatte man im Museumsteam, als man überlegte, die Aufnahme von einer Maifeier im Jahr 1923 zu veröffentlichen. Das Frühlingsfest fand einst nämlich in dem schönen Ort Tittenkofen im benachbarten Landkreis Erding statt. Was sollte man im Vilsbiburger Land darüber wissen? Allerdings waren auf der Rückseite des Originals der Hinweis „Kreisackerbauschule Schönbrunn“ und die Namen Moser und Paul Deutinger vermerkt, vielleicht zwei Absolventen der Bildungseinrichtung, die sich in der Erdinger Gegend mit ihren Mitschülern getroffen haben. Nachdem das Echo zunächst verhalten war, begab sich Sylvia Michl auf das Gebiet der Feldforschung. Und siehe da: Beim Schmied „z‘ Dingkof“, wie der Ort im Volksmund genannt wird, hing eine Vergrößerung des Fotos aus dem Heimatmuseum Vilsbiburg über dem Kachelofen. Und es gab mit dem 97-jährigen Kastulus Hacker auch noch einen Zeitzeugen, den es zu befragen lohnte. Der „Kast“ fuhr mit dem Finger über das Bild und nannte Namen um Namen. Dass auch ein Josef Gruber dabei war, der Großvater der bekannten Kabarettistin Monika Gruber, ist nur einen bemerkenswerte Pointe am Rande. Der Heimatverein würde sich freuen, wenn diese Begebenheit aus dem vorigen Jahr auch für den Erdinger Raum die Initialzündung wäre, alte Fotodokumente, die es überall zuhauf gibt, mit Namen und Daten zu versehen.
Denn es bleibt ja nicht nur bei ein paar übermittelten Fakten. In einem Fall konnte das Museum auch einen Gegenstand, ein Brettspiel „Fuchs und Henna“ identifizieren, das im Depot lag und mit dem niemand so recht etwas anzufangen wusste. Häufig erreichen Museumsleiter Lambert Grasmann akribisch zusammengestellte Namenslisten. Er erfährt weitere Einzelheiten über das Schicksal der abgebildeten Personen was manches Mal bedrückend ist, wenn Soldaten auf den Fotos zu sehen sind. Zu einem Laientheater im Jahr 1929 erhielt das Archiv des Heimatmuseums nicht nur die Namen des Stückes und der Schauspieler, sondern eine Reihe interessanter Zeitungsausschnitte mit Meldungen über die damalige Aufführung. Zu den Nebenprodukten gehören auch weitere historisch Fotos, auf die manche Leser durch die Veröffentlichung in alten Schachteln und Kästen aufmerksam wurden und die sie dem Heimatverein zur weiteren Forschung überlassen. Auf diese Weise befeuert sich die Rubrik „Noch anonym …“ immer wieder selbst und hat noch eine lange Zukunft vor sich.
Aber jetzt zieht man erst einmal Bilanz: Fast 1.200 unbekannte Fotos wurden in den 25 Jahren veröffentlicht und davon mehr als 800 ganz oder teilweise aufgelöst. Das sind achthundert heimatgeschichtliche Begebenheiten, die aus ihrer Anonymität gerissen wurden und jetzt für alle Zeiten mit Namen, Daten und Fakten der weiteren Forschung dienen können. Und es sind Fotos, die man zurzeit noch auflösen kann und wahrscheinlich nicht erst in einem weiteren Vierteljahrhundert. Denn alles hat seine Zeit …