Ein wenig bekanntes Schicksal

Laurent Chatrian – Ein emigrierter Priester der Französischen Revolution findet Aufnahme in Vilsbiburg.
Vilsbiburg. Durch die Wirren der Französischen Revolution wurde auch die alte Ordnung der Katholischen Kirche Frankreichs gänzlich zerstört. Eine der Auswirkungen war, dass neben Adeligen und Bürgerlichen, Soldaten und Beamten, auch Priester, Bischöfe und Ordensleute zur Emigration gedrängt, aber auch gezwungen wurden. Die Zahl der Auswanderer erreichte fast die der in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts aus Frankreich vertriebenen Hugenotten. So sind ab 1789 französische Emigranten fast in allen Ländern Europas, ja sogar in Übersee zu finden.

Der vordergründige Anlass zur Emigration war der Zwang zur Vereidigung des französischen Klerus auf die Zivilkonstitution vom 12. Juli 1790, deren Annahme nach den päpstlichen Entscheidungen von 1791 für Katholiken mit der Strafe der Exkommunikation verboten war. Da aber die kirchliche Entscheidung zu lange auf sich warten ließ, hatte ein Teil des niederen Klerus bereits den so genannten Zivileid auf die neuen Machthaber in Frankreich geleistet. Andere wiederum, die „Eidverweigerer“, fielen unter die Deportationsgesetze, was den sofortigen Landesverweis zur Folge hatte. Dieses Los traf dann letztendlich auch jene Geistlichen, die bereits den Zivileid abgelegt hatten.

 

Als eine der aufnehmenden Staaten kamen unter anderem das Kurfürstentum Bayern sowie die geistlichen Fürstentümer Freising, Passau und Regensburg in Frage. Kurfürst Karl Theodor sah dieser Entwicklung mit großem Misstrauen entgegen, befürchtete er doch, dass umstürzlerisches Gedankengut durch die Emigranten eingeschleust werden könnte. So ging er schon 1789 mit Verordnungen gegen das „Unwesen fremder Emissäre“ vor, verbot ketzerische Flugschriften und unterband den Briefwechsel Einheimischer mit Franzosen. 1792 wurden weitere Verschärfungen in Kraft gesetzt; der Kurfürst erhöhte den Polizeietat, um mehr Beamte und Spitzel einzustellen. Ein weiteres Dilemma für den Landesherrn zeigte sich mit der zu dieser Zeit gepflogenen Außenpolitik mit Frankreich, die eigentlich eine Ausweisung der Emigranten aus Bayern vorgesehen hätte, was der Kurfürst jedoch verweigerte. Karl Theodor verbot aber den Zugewanderten jede politische und öffentliche Tätigkeit. Als unpolitische Privatpersonen mussten sie ein ruhiges und unverdächtiges Leben im Exil führen.

 

Wilhelm Wührs Abhandlung zu den Emigranten der Französischen Revolution im bayerischen und fränkischen Kreis (1938) hat die Kommission für Bayerische Landesgeschichte 1974 neu aufgelegt. In einschlägigen Archiven hatte er über 4000 Namen dieses Personenkreises ermittelt und nach ihren neuen Wirkungsorten und Bleibezeiten in Bayern aufgelistet. Dabei sind ab 1794 für unsere Region als Aufenthaltsorte französischer Priester, die Namen sind bekannt, die Pfarreien Binabiburg (1794–1798, 1801), Frontenhausen (1794,1796-1798), Treidlkofen (1794/95), Bonbruck (1795), Gerzen (1794/95, 1797, 1799), Filiale Wippstetten (1798/99), Reichlkofen (1798), Geisenhausen (1794, 1797, 1799) und Loizenkirchen (1797) erwähnt. Ein Beispiel: Pfarrer Nikolaus Corringer aus Biberkirch in der Diözese Metz hatte es mit seinem Domizil beim Pfarrer von Treidlkofen gar nicht gut getroffen. Nachdem er vom dortigen Pfarrer geschlagen und nachts vertrieben worden war, hatte er es dort „nimmer ausgehalten“. In Binabiburg fand er 1795, in Vilsbiburg dann 1797 Aufnahme.

 

Unter der Nummer 921 erscheint Laurent Chatrian, Pfarrer zu St. Clément in der Diözese Nancy, der am 29. September 1794 von der bayerischen Regierung eine Aufenthaltserlaubnis für Vilsbiburg erhielt. Auf seine Person aufmerksam gemacht hat ein im Jahr 2003 in der französischen Zeitschrift „Le Pays Lorrain“ erschienener Artikel mit dem Thema „Abbé Chatrian : chroniquer de l’emigration“. Vor dem Erscheinen hatte der Herausgeber aus Lunéville bei der Stadtverwaltung Vilsbiburg um eine historische Ansicht unseres Ortes gebeten, worauf dann der Kupferstich von Michael Wening benutzt wurde. Chatrian wurde 1732 in Lunéville/Lothringen geboren. 1756 zum Priester geweiht, versah er in den folgenden Jahrzehnten den Dienst in mehreren Pfarrstellen der Region. Er wurde bekannt als Verfasser zeitgenössischer und biographischer Werke über das Leben in den Gemeinden Lothringens. 1791 forderte man ihn auf, die neue französische Verfassung anzuerkennen. Er lehnte diese jedoch als „heidnisch“ ab, was die Enthebung von seinen geistlichen Ämtern und 1792 die Deportation zur Folge hatte. Chatrian begab sich zunächst ins Exil nach Trier, wo er auf weitere Priesterkollegen stieß, die dort das Hauptzentrum der lothringischen Kirche bildeten. Über Köln (dort als Spion verhaftet, nach zwei Stunden wieder entlassen), Frankfurt, Bamberg, Augsburg und München traf er am 2. Oktober 1794 in Vilsbiburg ein, wo er zunächst bei unserer Wallfahrtskirche Maria Hilf als Votivpriester sein Auskommen fand.

 

Das größte Problem für die Emigrantenpriester war, dass sie ohne Vermögen und mit nur kleinem Gepäck aus Frankreich ausreisen mussten. So waren sie für Ihre Priesterdienste aus Einkünften von Meßstipendien angewiesen, die sie vor allem an Wallfahrtsorten wie Vilsbiburg, Wippstetten und St. Salvator Binabiburg in Anspruch nehmen konnten. Damit war die Quartier- und Verpflegungsfrage leichter gelöst. Leider sind Nachrichten über den Aufenthalt Chatrians in Vilsbiburg nur spärlich, wirkte er hier immerhin über sieben Jahre. Wie die Marktkammer-Rechnung berichtet, logierte er im Gasthof zur Post (Urban) am Stadtplatz, nach der Posthalter Anton Faistenhammer 1795 und 1796 „wegen dem emigrierten Priester“ für „Bett- und Zinsgeld“ 24 Gulden aus der Marktkasse erhielt. Für die Jahre von 1797 und 1798 (weitere Jahrgänge fehlen im Bestand) bewilligte der Amtskammerer (Bürgermeister) Ignaz Präntl für die „Haltung der täglichen halbe 10 Uhr Messe“ in der Heilig-Geist-Spitalkirche, dann für „Herberg-Zins, Bett- und Auswartgeld“ jeweils 16 Gulden. Den Ausgabebeleg quittierte Laurent Chatrian mit eigenhändiger Unterschrift, seinem Siegel und dem Zusatz „Votiva Francisci á Vilsbiburg“. 1799 händigte man „dem emigrierten frantzösischen Priester Herrn Laurenzius Schaberion zum Wohnungsbeitrag“ 16 Gulden aus und überließ ihm neben zwei Klaftern Brennholz auch zwei Klafter Wied (Reisigholz) im Wert von 34 Kreuzern.

 

Ab Herbst 1798 verschlechterte sich die Situation für die emigrierten französischen Priester im Kurfürstentum Bayern dramatisch. Ausschlaggebend war weiterhin die Angst im Land vor der Verbreitung revolutionären Gedankengutes. Am 8. Oktober 1798 wurde von der bayerischen Regierung per Dekret die Vertreibung der Ausländer bekannt gegeben. Danach sollten die sich in München aufhaltenden Franzosen innerhalb zwei Wochen, die auf dem Land wohnenden innerhalb von vier Wochen abreisen. Doch scheint die Anordnung nicht allzu streng gehandhabt worden zu sein. 1799 befanden sich immerhin noch 340 französische Priester auf kurfürstlichem Boden. Der neue Kurfürst Max Josef verschärfte noch einmal mit Verordnung vom 29. April 1800 die Lage, wonach zum Beispiel die in München sich aufhaltenden Priester innerhalb von 24 Stunden die Stadt zu verlassen hätten.

 

Inzwischen hatte Napoleon die Notwenigkeit erkannt, den Religionsfrieden in Frankreich wieder herzustellen. Mit Papst Pius VII. schloss der Konsul am 15. Juli 1801 das „französische Konkordat“, was die Neuordnung der Katholischen Kirche Frankreichs zur Folge hatte und damit die Rückkehr der emigrierten französischen Priester, ohne Repressalien zu befürchten, ermöglichte. Die Rückreise Laurent Chatrians nach Frankreich erfolgte mit anderen Priesterkollegen im Jahr 1802, wo er am 10. Mai in Lunéville ankam. Aufgrund seines Alters lehnte er ein angebotenes höheres Amt in der Kirche ab, er widmete sich weiter seinen schon vor der Revolution begonnenen Memoiren. Im Alter von 82 Jahren starb er am 24. August 1814.                                    
Lambert Grasmann